Zukunft gewinnen: Robert Jungk zum 100. Geburtstag

Am 22. Mai 2013 fand in der Landesvertretung von NRW in Berlin eine Tagung anlässlich des 100. Geburtstages von Robert Jungk statt. Der Tagungstitel „ZUKUNFT GEWINNEN" erinnert an das lebenslange Credo des Geehrten. Dennoch charakterisierten zwei konträre Fakten die Veranstaltung: zum einen wurde erklärt, dass der „Robert-Jungk-Zukunftspreis" seit 2009 – wegen Insolvenz des Stifters - nicht mehr vergeben werden konnte. Zum anderen berichtete Ulrike von Wiesenau, die Vorsitzende des Berliner Wassertischs, über die erfolgreiche Durchführung des Volksbegehrens zur Wiedergewinnung der öffentlichen Konntrolle über die Berliner Wasserbetriebe, die ein elementarer Bausteine der Daseinsvorsorge darstellen. Letzteres zeugt von der Lebendigkeit der Jungkschen Ideen in seiner Geburtsstadt.

Er war Berliner und Weltbürger. Zwei seiner Bücher „Die Zukunft hat schon begonnen" (1952) und „Heller als tausend Sonnen" (1956) wurden Bestseller. Prominent für den Rest seines Leben aber machte ihn das Buch „Der Atomstaat" (1977). Mit Norbert Millert, entwickelte er 1981 die Theorie und Praxis der „Zukunftswerkstätten". Millert gehörte in den späten 1960er Jahren zu den begeisterten Studenten Jungks, als dieser an der Technischen Universität seit 1968 eine Gastprofessur hatte.

Obgleich er sich lebenslang für Zukunftsfragen interessierte, schien gerade Robert Jungks Ruhm keine Zukunft zu haben. Nur im angelsächsischen Kulturkreis galt er als Pionier der „future studies". Doch inzwischen erwachte hierzulande neues Interesse an Leben und Werk dieses Wissenschaftsjournalisten und Zukunftsforschers. 1913 in eine Künstlerfamilie hineingeboren, die fürs Theater und für das neue Medium Film wirkte, fiel seine Jugend in die „goldenen" zwanziger Jahre. Berlin war auf vielen Gebieten ein Experimentierfeld der Moderne. Bereits als Schüler lernte er im deutsch-jüdischen Wanderverein das Diskutieren und entdeckte seine Liebe zur Natur. Früh interessierte sich Jungk für die Filmkunst. Der „rasende Reporter" Egon Erwin Kisch war es, der ihn zum kritischen und aufklärenden Journalismus anstiftete. 1932 begann er ein Philosophiestudium an der Berliner Universität. Politisch engagierte er sich gegen die Nazibewegung.

Am Tag des Reichstagsbrandes wurde er verhaftet, kam frei und ging ins Pariser Exil. Von 1933 bis 1935 studierte er an der Sorbonne Psychologie und Soziologie und arbeitet für Filmprojekte von Georg Wilhelm Pabst und Max Ophüls. Als Ausgebürgerter ging er dann 1936 illegal nach Deutschland, um Kontakt zu Widerstandsgruppen aufzunehmen und antifaschistisches Pressematerial zu verbreiten. Später setzte er seine kritische Pressedienstarbeit in Prag fort. Hier begann seine Freundschaft mit Peter Weiss. Kurz vor Kriegsbeginn nahm Jungk sein Studium in Zürich wieder auf und promovierte 1944 mit einer Arbeit über Pressefreiheit in der Schweiz. Unter Pseudonym verfasste er Artikel über das „Dritte Reich" für die Züricher „Weltwoche". Das brachte ihm eine mehrmonatige Internierung ein. Nach Kriegsende berichtete er als Korrespondent der „Weltwoche" über den Nürnberger Prozess. Im September 1946 sandte ihn die Zeitung erstmals in die USA. Hier fand er sein Lebensthema: die Ambivalenz der modernen Wissenschafts- und Technologieentwicklung, wie sie exemplarisch bei Nuklearenergie und Kernwaffen zu beobachten war, und die damit zusammenhängende Frage nach der Verantwortung des Wissenschaftlers.

1949 heirate Jungk in Washington Ruth Suschitzky. Sohn Peter Stephan wurde 1952 geboren und Jungks erster Bestseller „Die Zukunft hat schon begonnen" erschien. Darin warnte er vor einem unkritischen Technikoptimismus und forderte eine Technikfolgenabschätzung. Mit „Heller als tausend Sonnen" wollte Jungk die Öffentlichkeit dafür sensibilisieren, dass mit der Nukleartechnologie unvorhersehbare Gefahren verbunden seien. Ende der 50er-Jahre kehrte er nach Europa zurück und engagierte sich für Abrüstung in der Anti-Atombewegung. Er gründete 1964 in Wien sein „Institut für Zukunftsforschung". Für Jungk galt Zukunft als offen und damit auch gestaltbar. Seine Art der Prognostik sollte der Früherkennung von Fehlentwicklungen dienen. Die erste Gastvorlesung an der TU Berlin zum Thema Zukunftsforschung hielt Jungk 1968. Bis 1975 blieb er TU-Honorarprofessor. Er war Kuratoriumsmitglied vom außeruniversitären Zentrum Berlin für Zukunftsforschung (ZBZ), das Prof. Heinz Hermann Koelle, Leiter des TU-Instituts für Raumfahrttechnik, 1968 gründete. Das Buch „Der Atomstaat. Vom Fortschritt in die Unmenschlichkeit" (1977) machte ihn international prominent und zugleich zu einem der umstrittensten Publizisten. Jetzt schieden sich an ihm die Geister. Er selbst nannte sich einmal einen „Agitator fürs Überleben". 1986 eröffnete der Bücherfreund die „Internationale Bibliothek für Zukunftsfragen" in Salzburg. Zu den vielen Ehrungen, die ihm zuteilwurden, gehörte der „Alternativen Nobelpreis" (1986). Robert Jungk starb am 14.7.1994. Sein Grab, ein Ehrengrab der Stadt Salzburg, befindet sich auf dem dortigen Jüdischen Friedhof.

Robert Jungks geistiges Erbe ist alles andere als unzeitgemäß. Es ist aktueller den je.

Aufsatz von unserem Mitglied: Hans Christian Förster © Juni 2013