Adalbert Matkowsky (1857-1909): „Der letzte Löwe“
(Luisenfriedhof II, Charlottenburg, Königin-Elisabeth-Straße 46, Feld M-Gitter 6-21-4, Ehrengrab)

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Am 19. März 1909, an einem trüben, regnerischen Frühlingstag versammelten sich vor einem bestimmten Haus in der Kantstraße große Menschenmassen. Sie grüßten mit entblößtem Haupt den Sarg, der dort herabgetragen wurde, und viele folgten dem Trauerzug, der am Charlottenburger Schloss vorbeizog, den Spandauer Berg hinauf, nach Westend zum alten Luisenfriedhof. Hier wurde Adalbert Matkowsky begraben, der geliebte und verehrte Heldendarsteller des wilhelminischen Deutschland. Sein Grabspruch stammt aus Goethes Egmont, den er oft gespielt hat:

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„Die Menschen sind nicht nur zusammen, wenn sie beisammen sind. Auch der Entfernte, der Abgeschiedene lebt uns.“

Matkowsky kam in Königsberg auf die Welt. Seine Mutter war Näherin, der Vater unbekannt. Als er neun Jahre alt ist, zieht sie mit ihm nach Berlin und sorgt für eine gute Schulbildung. Sein theatralisches Urerlebnis ist der Hamlet. Er geht mit 18 vom Gymnasium ab und nimmt Schauspielunterricht. Sein erstes Engagement führt ihn (1877) nach Dresden. Wo immer dieser bildschöne Mensch mit seiner Lockenpracht und den tiefblauen Augen als jugendlicher Liebhaber und Naturbursche die Bühne betritt, schlagen die Herzen der Mädchen höher. Nach Dresden und Hamburg erobert er (1889) Berlin. Als Prinz Sigismund in Calderons Das Leben ein Traum.

Der stattliche Mann mit der großen Stimme bringt Leben in die staubige Kulissenluft des Königlichen Schauspielhauses am Gendarmenmarkt, das einst (unter Iffland und dem Grafen Brühl) Deutschlands führende Bühne war und dann ein Hoftheater wurde. Wilhelm II. (und Letzte) hatte 1898 anlässlich seines zehnjährigen Thronjubiläums erklärt: „Das Theater ist auch eine meiner Waffen.“ Man konnte es als Drohung verstehen. Er forderte die Theaterleute dazu auf, „im festen Gottvertrauen dem Geiste des Idealismus zu dienen und den Kampf gegen den Materialismus und das undeutsche Wesen fortzuführen, dem schon leider manche deutsche Bühne verfallen ist.“ Seine Loge im Deutschen Theater hatte Wilhelm nach einer Aufführung der Weber von Gerhart Hauptmann demonstrativ gekündigt. Ihm und seinen Trabanten passte die ganze moderne Richtung nicht.

„Jedes Berliner Theater hat seinen besonderen Hörerkreis,“ schrieb der junge und spottlustige Alfred Kerr (1895). Und weiter: „Im Königlichen Schauspielhaus ruht über den Hörern ein feiner, zarter Hauch von Ichweißnichtwas. Es ist der süße, zitternde Blütenstaub paradiesischer Unschuld des Geistes und Gemüts. Die jungen Mädchen sind hier am holdesten, zahlreichsten und dümmsten. Sie werden in dieses Theater lieber als in irgendein anderes geführt, weil es am tugendlichsten ist. Und sie bewundern schwärmerisch und verehren, ohne es allzu sehr merken zu lassen, den kompakten Gliederbau des hübschen Herrn Matkowsky.“

Nicht nur die besonderen Zeitumstände, auch Matkowskys Temperament und Mentaliät führten dazu, dass er dem verschlafenen Hoftheater ein Leben lang die Treue hielt. Als er ein Angebot vom Deutschen Theater bekommt, schickt er seine Frau vor. Sie soll sich eine Vorstellung anschauen. Und als sie ihm erklärt, in dieses Theater würde er passen, wie ein Ochse in einen Porzellanladen, sagt er ab und bleibt zum Schaden für seine künstlerische Entwicklung vom modernen Spielplan vollkommen abgeschnitten, spielt stattdessen die Klassiker rauf und runter: Wallenstein, Othello, Egmont, Götz, Coriolan, Faust . . .

Mit dem Publikum hat Matkowsky leichtes Spiel, bei den Kritikern hingegen scheiden sich die Geister. Während er für Maximilian Harden „der letzte Löwe“ ist, bekennt der alte Fontane, er sei „Anti-Matkowsky“, und für Alfred Kerr ist er „ein Kulissenreißer, ein Wagnersänger ohne Stimme“. 

Ein Tag, an dem er nicht auf der Bühne steht, ist für Matkowsky ein verlorener Tag. An spielfreien Tagen und in den Theaterferien unternimmt er so genannte Gastierfahrten, auch zu kleineren Orten, wenn sie nur mit der Bahn schnell zu erreichen sind: Cottbus, Prenzlau, Hildesheim. . . Es ist ihm egal, wo er spielt. Hauptsache, er spielt. Er muss einfach immer Theaterluft atmen, in der Luft des bürgerlichen Alltags würde er ersticken. Davon zeugt auch seine riesige Wohnung in der Kantstraße, die eigentlich eine Doppelwohnung ist, die eine Hälfte für Frau und Kind, die andere nur für ihn. Hier hat er sich Räume eingerichtet, die nicht von dieser Welt sind. Ein Traumschloss seiner theatralischen Phantasie. Um auch in der Kleidung an keinen Alltag erinnert zu werden, wandelte er am liebsten in der Mönchskutte umher.

1902 verunglückt sein einziger Sohn Adalbert, Berti genannt, tödlich im Alter von 15 Jahren. Nach diesem Schicksalsschlag altert Matkowsky rasch. Um den Hamlet spielen zu können, unterzieht er sich im fortgeschrittenen Alter einer unsinnigen Entfettungskur, die seinen ohnehin maßlos überforderten Körper vollends ruiniert. Und eines Tages geschieht dann das Unvorstellbare: Die Leute im Parkett rufen „lauter!“ War so etwas möglich? Jahrzehntelang hatte Matkowskys Organ die großen Häuser gefüllt, hatten seine Ausbrüche das Publikum in Schrecken versetzt und seine Kritiker genervt. Nie hätte man geglaubt, dass diese Kraft jemals nachlassen könnte. Am allerwenigsten Matkowsky selbst. „Ich werde hundert Jahre alt“, hatte er oft gesagt. Erreicht hat er die Hälfte. Todesursache; eine frühzeitige Arterienverkalkung.
Am 15. Februar 1910 fand im Auktionshaus Repke in der Kochstraße die Auktion des Nachlasses statt. Sie erzielte einen Erlös von 177 000 Mark

Text: Gerold Ducke; Fotos: Erika Babatz
Auszug aus ihrem Vortrag „Friedhof der Schauspieler, Zweiter Akt“, gehalten Im Rahmen der Vortragsreihe des Vereins für die Geschichte Berlins am 16. September 2015.