Berlin, 27.06.2017

Eigentlich kennen es fast nur die Lichtenberger, die in seiner Nähe wohnen: eingebettet in eine gepflegte Parkanlage mit vitalem Baumbestand präsentiert sich das Evangelische Krankenhaus Königin Elisabeth Herzberge, abgekürzt KEH, nahezu versteckt. Die Stille auf dem Areal überwiegt. Heutzutage ein modernes Krankenhaus mit christlicher Prägung verfügt das KEH über eine wechselvolle Historie. Vor nunmehr 174 Jahren, 1843, wird die Heil- und Pflegetätigkeit aufgenommen.

Seinerzeit als Klein-Kinder-Krankenbewahranstalt in der Wilhelmstraße gegründet und 1844 umbenannt in Elisabeth-Kinder-Hospital sowie 1910 in Königin-Elisabeth-Hospital (KEH), findet es nach einigen Umzügen (Hallisches Tor, Hasenheide, Oberschöneweide, Friedrichshagen) im Jahr 1946 in Lichtenberg seinen endgültigen Standort. Hier, auf einem Flurstück des einstigen Ritterguts Roeder, befindet sich die bereits im Jahr 1893 eröffnete Städtische Irrenanstalt Herzberge, 1925 umbenannt in Städtische Heil- und Pflegeanstalt Herzberge. Das Gebäudeensemble wurde ab 1888 nach den Plänen des namhaften Architekten und Stadtbaurats Hermann Blankenstein (1829 - 1910) errichtet.

Luftbild von 1993Die meisten der 124 Jahre alten Backsteingebäude sind topsaniert und somit weiterhin im Einsatz. Auf einem davon prangt der Sinnspruch: »Dem Geisteslicht zum Schutze, gemeinem Wohl zu nutze.« Aufgenommen werden 1893 rund 1.050 erkrankte Menschen, eingewiesen in die Häuser für Sieche, Unruhige bzw. Vorbestrafte (Detensionshäuser) und gewöhnliche Kranke. Ab 1939 erfolgt eine Zäsur in der medizinischen Behandlung: In der Schaltzentrale der nationalsozialistischen »Euthanasie«-Morde in der Berliner Tiergartenstraße 4 entwickeln die sogenannten »T4«-Mitarbeiter Szenarien zur »Vernichtung lebensunwerten Lebens«. Angeordnet wird die rasche Verlegung der Patienten in die Tötungsanstalten, darunter Pirna/Sonnenstein (Sachsen), die zur Tarnung als Landespflegeanstalten firmieren.

Nur wenige von ihnen können vor ihrer Deportation aus Lichtenberg bewahrt werden. Mitten im Krieg, 1942, schließt die Psychatrie. Wiedereröffnung 1950. Behandelt werden bis dahin Kriegsopfer und Infektionskrankheiten. 1956 erfolgt die Eröffnung einer Abteilung für Kinderpsychatrie. In den DDR-Jahren arbeiten die KEH und die Städtische Heil- und Pflegeanstalt Herzberge parallel nebeneinander. Wenige Jahre nach der Wende, 1992, fusionieren beide Häuser. Im Jahr 2001 entsteht eine neue Gesellschafterstruktur inklusive neuem Namen: Evangelisches Krankenhaus Königin Elisabeth Herzberge gGmbH (KEH).

»Die bewegende Geschichte beider Häuser aufzuarbeiten, diese und das heutige KEH selbst über Lichtenberg hinaus bekannt zu machen«, sieht Ina Herbell als Schwerpunkte ihrer verantwortungsvollen Arbeit. Das Historische Archiv, abgekürzt HA, besteht seit 2004 und wird dank seiner Leiterin kontinuierlich erweitert. Viele Jahre konzentrierter Arbeit, tiefgründiger Recherchen und nachhaltigen, couragierten Engagements bedurfte es seither, das HA mit beachtlichen Exponaten sowie Schrift- und Fotomaterial anzureichnern.

Zur geschichtlichen Aufarbeit finden sich Verwaltungsakten, Nachlässe, Pläne, Bilder und Interviews im Archivbestand. Allein die cirka 30tausend Krankenakten (nur Psychatrie) auszuwerten, bedeutet auch zukünftig ein immenses Arbeitspensum zu bewältigen. Ihr sichtbarer Erfolg: bislang entstanden unter ihrer sachkundigen Mitarbeit bemerkenswerte Publikationen. Einige davon übereignet Ina Herbell dankenswerterweise der Bibliothek des Vereins für die Geschichte Berlins e.V., abgekürzt VfdGB. Sympathisch, spannend und mit interessanten Fotos belegt, berichtet sie über frühere Zeiten. Aufregend danach der Blick in das denkmalgeschützte Kesselhaus, das ebenfalls ab 1893 für Wärme und Strom sorgt. Während eines Rundganges im Ausstellungsraum bekommen die Teilnehmer/innen des Informationsbesuches anhand von uralten Gegenständen einen quasi “anfassbaren” Einblick in die frühere Psychatrie- bzw. Medizingeschichte. Zum Abschluss wird das KEH-Haupthaus mit der Alten Kapelle aufgesucht. Hier gibt es eine imposante Orgel zu bestaunen. Sie stammt aus dem Jahr 1826 und ihr versierter Erbauer ist Johann Friedrich Turley (1804 - 1855) aus Treuenbrietzen. Ina Herbell gebührt für die durchweg faszinierenden Eindrücke ein sehr herzliches Dankeschön!

Situationsplan von 1893

Mathias C. Tank
Pressesprecher des Vereins für die Geschichte Berlins e.V., gegr. 1865