23.05.2020
Lutz Röhrig

Die Berliner Mauer am Güterbahnhof TreptowWie die Zeit vergeht. Nun ist es schon wieder 30 Jahre her, dass ich, eines Abends aus der Münchner S- Bahn kommend, zu meinem Auto ging. Dunkel war es und sehr kühl, ein typischer Novembertag eben. Ich stieg ein, drehte den Zündschlüssel - doch nichts passierte. Die Batterie war leer. Ich dreht mich suchend um - nirgends ein Mensch oder Fahrzeug an dieser einsamen S -Bahnstation zu sehen. Plötzlich näherte sich von einem Feldweg her ein Werksfahrzeug der Fa. Siemens. Kurzerhand hielt ich das Fahrzeug an und bat um Starthilfe. Der Fahrer jenes Wagens stieg, unter Zurücklassung einer Dame aus und da ich ein Batteriestartkabel stets dabei hatte, war es nur eine Sache von Minuten, bis mein Wagen wieder ansprang. Plötzlich hielt jener Herr inne. Sein Blick fixierte mein Nummernschild. Sie kommen aus Berlin? Ich bestätigte dies etwas verwundert. Sie wissen schon, dass die Mauer offen ist? Ungläubiges Kopfschütteln. Wer weiß, was jener freundliche Herr da gehört haben will, zumal er auch nichts weiter seinen Worten hinzufügte.

 

Zuhause in meiner Münchner Wohnung angekommen, kochte ich mir erst einmal einen Tee ob des kühlen Wetters und schaltete dann gewohnheitsmäßig den Fernseher an. Das Szenario jenes zufällig angeschalteten Senders zeigte eine bewegte Menschenmenge mit Tränen in den Augen. Einige umarmten sich ergriffen. Keine Stimme war zu hören, nur bewegtes Schweigen. Gedanken gingen mir durch den Kopf: irgendwo muss eine furchtbare Katastrophe passiert sein...

Plötzlich ein Schwenk mit der Kamera. Zu sehen war nun das Brandenburger Tor mit der Mauer davor, auf der Menschen standen und jubelten. Langsam begriff ich. Die Worte jenes freundlichen Münchner Autofahrers fielen mir ein. Und nun war ich den Tränen nahe, als bereits mein Telefon klingelte. Ob ich denn schon gehört hätte, dass die Mauer offen ist.

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