25. 5.2020

Ninon Suckow

Ich war 13 Jahre und am 13. August 1961 mit meinen Eltern und meinem jüngeren Bruder im Urlaub an der Ostsee. Wir haben mit einer Gruppe von Freunden meiner Eltern im Thiessow auf Rügen gezeltet, es war herrliches Wetter und wir waren schon am Strand. Jemand hatte ein Kofferradio dabei und es kam die Nachricht von der Schließung der Grenze in Berlin und es war die Rede von Passierscheinen … Meine erste Reaktion war: "Da brauche ich einen Passierschein, wenn ich zu meiner Oma will?" und irgendwer aus der Runde sagte: "Na mit einem Passierschein wird das wohl nicht so ganz klappen."

Als Erklärung dazu muss gesagt sein: Wir waren eine typische Berliner Familie. Meine Eltern kannten sich schon seit ihrer Kindheit. Die Familie meines Vaters lebte auf einer Laubenkolonie in Treptow - heute etwa in Höhe des Bahnhofs Plänterwald. Die Familie meiner Mutter lebte in Neukölln, direkt über die Straße. Wenn man aus dem "Hintereingang" des Gartens meiner Treptower Großeltern hinausging war man im Prinzip in Neukölln. Als ich Kind war, lebten die Neuköllner Großeltern allerdings schon in der Sonnenallee. Ich war regelmäßig bei den einen und den anderen Großeltern zu Besuch, die Großväter kannten sich schon bevor meine Eltern ein Paar waren. Alle Geschwister meiner Mutter lebten in Neukölln, rund um den Richardplatz und die Familie meines Vaters eben in Treptow. Die Familie meiner Mutter waren Nachfahren böhmischer Glaubensflüchtlinge und meine Mutter erzählte immer, dass ihre Großmutter zu hohen Feiertagen böhmische Tracht trug. Die waren also im "Böhm'schen Dorf" an der richtigen Stelle.

 

Ich habe die Teilung der Stadt damals zwar wahrgenommen, aber eigentlich nur: Wenn man in Treptow zu Fuß über die Grenze ging, war da ein Schild und es standen ein paar Uniformierte herum. Fuhr man mit der Straßenbahn, musste man aussteigen, ein paar Schritte über die Grenze laufen und auf der anderen Seite in eine andere Straßenbahn einsteigen. Fuhr man mit der S-Bahn zu meiner Oma - wir wohnten in der Nähe des Ostbahnhofes und mussten dann in Treptow umsteigen um zur Sonnenallee zu fahren, wurde ich von meiner Mutter ermahnt, am Fahrkartenautomat - es waren diese herrlichen großen alten grünen Automaten die so ein unnachahmliches Geräusch machten und ich liebte es die Fahrkarten zu kaufen - drücke Hin- und Rückfahrt, ansonsten hätte man im Westen Fahrkarten für die Rückfahrt mit Westgeld bezahlen müssen. Das Geld war der einzige richtige Unterschied. Spielte für mich als Kind aber eigentlich keine wichtige Rolle. Zu Hause hatte ich mein Taschengeld von meinen Eltern. Bei der Neuköllner Oma bekam ich hin und wieder 20 Pfennig oder einen Fünfziger für Eis oder Süßigkeiten. Für mich war das eine Stadt und ich konnte mir überhaupt nicht vorstellen wie man das abtrennen kann.