25.5.2020

Thomas Knuth

Als Stadtführer kommt man in Berlin nicht nur mit Touristen zusammen. Vor einigen Jahren waren wir über unseren Berufsverband „Berlin Guide e.V.“ eingeladen worden ins Museum Treptow, das sich im ehemaligen Rathaus von Johannisthal befindet. Dieses schöne Neorenaissance-Gebäude aus dem Jahr 1906 wurde 2005/2006 denkmalgerecht rekonstruiert.
Was kann man dort sehen? Ich zitiere aus der Beschreibung auf dem „Museumsportal Berlin“: „Die Dauerausstellung unter dem Titel „Aus 200 Jahren Treptower Geschichte“ widmet sich zahlreichen Themen, die zuvor in Sonderausstellungen erforscht wurden. So geht sie auf den Flugplatz Johannisthal ein, den ersten deutschen Motorflugplatz, und erinnert an die mutige Pilotin Melli Beese. Weitere Kapitel behandeln die Berliner Gewerbeausstellung von 1896, die Entwicklung des Berliner Radsports, Treptow als Ausflugsziel, die Geschichte des Teltowkanals und das Leben im Grenzgebiet Treptow-Neukölln.“

Empfangen und geführt wurden wir in der Ausstellung von zwei etwa gleichaltrigen Damen um die 50, beide mit DDR-Biografie. Nach dem Rundgang sprachen wir mit ihnen bei Kaffee und Keksen über Möglichkeiten der Zusammenarbeit. Das Gespräch hatte einen lockeren, informellen Charakter und gab auch Gelegenheit zum Austausch über persönliche Erfahrungen nach dem Mauerfall. Was dabei auffiel und woran ich mich bis heute sehr gut erinnere, war die unterschiedliche, ja gegensätzliche Umgangsweise der Museumsmitarbeiterinnen mit der Entwicklung nach der Wiedervereinigung. Die eine Dame verwies immer wieder auf das, was ihr fehlte und betonte, was verloren gegangen war. Erkennbar war sie unzufrieden, sie trauerte der Vergangenheit nach und klagte: „Früher, vor der Wende, hatten wir viel mehr Besucher! Die Menschen, die kamen, waren auch viel interessierter und freundlicher. Heute fristen wir hier ein Schattendasein, der Bezirk kümmert sich gar nicht.“ Ihre Kollegin dagegen freute sich über die gelungene Restaurierung und sah die Chancen: „ Es ist ja klar, dass wir hier mit vielen anderen Angeboten konkurrieren. Es gibt heute weitaus mehr Freizeit- und Kulturangebote in diesem wiedervereinten Berlin. Wir haben aber ein Kleinod und müssen uns eben anstrengen, dürfen nicht warten, bis jemand kommt.“

Für mich repräsentieren diese zwei Damen exemplarisch die Art und Weise, wie DDR-Bürger mit der Wirklichkeit nach 1990 umgegangen sind und teilweise bis heute umgehen. Es ist dabei verständlich, dass es Menschen, denen man hauruckartig den Teppich unter den Füßen wegzieht, schwindlig wird, dass sie sich zurückwünschen in einen Zustand mit festem Boden, wie auch immer dieser beschaffen ist. Aber man sieht zugleich, dass es auch die Möglichkeit gab und gibt, sich den neuen Herausforderungen zu stellen, sich neu zu orientieren und tatkräftig die buchstäblichen Spielräume zu nutzen, die sich ergeben haben.
In meinen Berliner Jahren, die 2000 begannen, bin ich beiden Charaktertypen begegnet, dem Klageführer und dem Chancenergreifer, bei ersterem habe ich immer wieder eine rückwärtsgewandte Tendenz zur Schuldzuweisung festgestellt, bei letzterem hingegen einen bewundernswerten Mut, das eigene Leben unter völlig veränderten und nicht immer leichten Bedingungen in die Hand zu nehmen. Berlin war die Hauptstadt des Kalten Krieges, aber dann das Labor der Deutschen Einheit, ein einziges großes Experiment, an dem aktiv teilzunehmen sich gelohnt hat und auch in Zukunft lohnt.

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