Weil ich an Dich nur denk' und denken mag - ‚Bilderbogen für Liebende' aus der Sammlung historische Dokumente der Stiftung Stadtmuseum Berlin

„Was ist der Ruhm der ,Times' gegen die zivilisatorische Aufgabe des Ruppiner Bilderbogens?" Diese Frage stellte Theodor Fontane sich und seinen Lesern in seinen berühmten Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Während die ehrwürdige Zeitung an einen anglikanischen Bischof erinnere, der sich nie in die Tiefen der fremden Welt vorwagen würde, sondern stets nur „an schmalen Küstenstrichen" und in den „reichbevölkerten Städten der anderen Hemisphäre" seinem Amt nachginge, seien die bebilderten Einzeldrucke aus der Firma Gustav Kühn in Neuruppin wie der „Herrnhutsche Missionar, der überallhin vordringt, […] die eine Hälfte seines Lebens in den Rauchhütten der Grönländer, die andere Hälfte seines Lebens in den Schlammhütten der Fellahs verbringt."1 Fontane hob damit auf die Massenwirksamkeit und auf die fortschrittsbringende Funktion dieser Vorläufer der Illustrierten ab, in denen mit bunten Bildern und wenig Text aktuelle Großereignisse der deutschen, europäischen, aber auch außereuropäischen„Tagesgeschichte" für Jedermann verständlich geschildert wurden, und die durch ihren weit verstreuten und breiten Absatz die Welt vernetzten.

Neuruppin und Berlin: Unterschiedliche Bilderbogentraditionen
In der Tat avancierte das brandenburgische Städtchen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts dank Gustav Kühn und einigen anderen Offizinen zu einer internationalen Metropole des damaligen Bildjournalismus. So wurde - wahrscheinlich zum Ärgernis der Nürnberger, Münchner und Augsburger - der Neuruppiner Bilderbogen zu einer Art feststehendem Begriff für die deutsche Bilderbogenproduktion.2 „Neuruppinern" nannte man in Dänemark das Dichten von einfachen und manchmal auch ungewollt komischen Versen, wie sie auf Neuruppiner Blättern oft zu lesen waren. Zumindest in Sachen Bilderbogen war also die Residenz- und Großstadt Berlin Provinz der eigenen Provinz.

Nichtsdestotrotz etablierten sich auch in Berlin seit dem frühen 19. Jahrhundert mehrere Bilderbogenfirmen. Die bekannteste unter ihnen war Winkelmann & Söhne, deren Ruhm vor allem auf den beliebten Theaterbogen gründete. Der populäre Bilderbogen Neuruppiner Art, der auf Aktualitäten wie Kriegsereignisse, Szenen aus dem Fürstenleben oder Herrscherporträts spezialisiert war, aber auch die ältere Bilderbogentradition mit Drucken zur religiösen und moralischen Erbauung und Ermahnung weiterführte, fehlte hier fast völlig. Der Bedarf an diesen Drucken wurde durch die Artikel aus dem nahe liegenden Städtchen gedeckt. Erst mit dem Ersten Weltkrieg entwickelte sich auch in der Reichshauptstadt eine rege Kriegsbilderbogenindustrie. Im 19. Jahrhundert konzentrierten sich die Berliner Verlage dagegen lieber auf die Produktion von Anschauungsbogen, in denen Vögel und Schmetterlinge, Blüten, Früchte und Bäume, aber auch Monate und Jahreszeiten belehrend und zugleich unterhaltend vorgestellt wurden. Eine weitere in Berlin stark vertretene Gattung stellte der Schneidebogen dar. Er umfasste eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Motive: von den bereits erwähnten Papiertheaterfiguren über Reproduktionen berühmter Gebäude zum Modellbau bis zu Blumenbildchen, Christbaumschmuck oder biedermeierlichen Genreszenen in Miniatur. Dementsprechend mannigfach fiel auch ihre Verwendung aus, die vom Kinderspiel bis zum Basteln, Sammeln und in Alben kleben reichen konnte.

Da diese Erzeugnisse der reinen Gebrauchsgraphik, entsprechend ihrer eigentlichen Bestimmung, dem Verschleiß besonders ausgesetzt waren, sind die Schneidebilder weniger zahlreich und schlechter erhalten als beispielsweise die klassischen Genrebogen mit Jagdszenen, die eher als Wandschmuck gedacht waren.

In der reichen Bilderbogensammlung der Stiftung Stadtmuseum Berlin3 liegen zwei sehr hübsch kolorierte, leider teilweise beschädigte Exemplare einer ganz besonderen Sorte von Schneidebildern, die bislang vielleicht aufgrund ihrer vermeintlich unhistorischen Liebesthematik und der in unseren Augen allzu süßlichen Ästhetik weniger Beachtung gefunden haben. Es handelt sich dabei um zwei Bogen der Berliner Firma C. Schauer Nachfolger, die an dieser Stelle zum ersten Mal publiziert werden.4 Der Kunstverleger und Kupferdruckereibesitzer Carl Schauer erscheint im Berliner Adressbuch zum ersten Mal 1820. Er druckte nicht nur Bilderbogen, sondern führte eine ausgesprochen breite Palette von Papierprodukten. Bekannt war die Firma Carl Schauer vor allem für Bonboncouverts, sogenannte Devisen, Schulheftumschläge, aber auch für Theaterfigurenbogen und Guckkastenbilder. 1853 wurde die Firma verkauft, die fortan C. Schauer Nachfolger hieß und bis 1973 in Berlin existierte.5

Die Bogen sind jeweils in 16 bis 20 Einzelbilder unterteilt, wobei die einzelnen Szenen dünne schwarze Striche trennen, entlang derer man die Schere gleiten ließ. Auf jedem Einzelbild ist ein Paar in unterschiedlicher, meist zärtlicher Haltung zu sehen. Gerahmt werden die „Liebesszenen" von Blumen, Schleifen, Herzen und kleinen Amors. Jedes einzelne Bild wird von einem vierzeiligen, manchmal auch nur zweizeiligen Vers kommentiert, in dem von Liebe, Treue, Zärtlichkeit und Leidenschaft in unterschiedlich starken Gradationen die Rede ist.

Bloßer Kitsch? Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass auch diesen gefühlstriefenden Bildchen durchaus eine„zivilisatorische Aufgabe" zukam - doch in einem ganz anderen als dem Fontanschen Sinne: Weder berichteten sie von aktuellen Großereignissen quer über den Globus, wie Fontane den Kühnschen Bilderbogen nachgerühmt hatte, noch informierten sie die Menschen über fernab liegende Kulturen. Sie sollten vielmehr die (verborgene) individuelle Gefühlswelt Liebender illustrieren und kommunizieren und dienten so gesehen einer ‚Erziehung der Herzen'. Die Notwendigkeit einer Geschichte der Gefühle wird in neuester Zeit vor allem unter jüngeren Historikern und Historikerinnen zunehmend debattiert und postuliert: Die Geschichtswissenschaft scheint sowohl die gesellschaftliche Konstruktion individueller Emotionen als auch die Bedeutung von Gefühlen für historische Ereignisse und Prozesse für sich entdeckt zu haben.6 Die‚Liebesbogen' in der Sammlung historische Dokumente der Stiftung Stadtmuseum stellen, wie wir in diesem Artikel skizzenhaft zeigen möchten, für eine solche Geschichte der Gefühle, genauer gesagt für eine Kultur- und Kommunikationsgeschichte der Liebe im 19. Jahrhundert, eine besonders interessante Quelle dar. Denn auf seine Weise trug das triviale Medium zur Kodifizierung und zur Popularisierung einer bestimmten Vorstellung von Liebe und Ehe bei, die nach 1800 insbesondere in bürgerlichen Schichten zunehmend Fuß fasste. Passend zum Thema ist derzeit im Kommunikationsmuseum Berlin auch eine sehr anregende und amüsante Ausstellung zur Geschichte der Liebeskommunikation zu sehen. 7

Die Bilderbogen als ‚Liebesbilder'
Die Bogen zeigen Paare, die zueinander gefunden haben oder noch umeinander werben, in unterschiedlicher Manier: Entweder konzentrieren sie sich auf die reine Zweisamkeit, indem sie die Büsten der Liebenden einander zugewandt vor flächigem Hintergrund abbilden; oder sie platzieren das Paar szenisch in einer idyllischen, oftmals parkähnlichen Landschaft, nur vereinzelt auch vor Interieur. Während die erste Form der Darstellung in ihrer Statik das Aufeinanderbezogensein des Paares, seine Nähe und Intimität ins Zentrum stellt, evoziert die zweite, bewegtere, stärker die Gefühle - des spannungsvollen Hingezogenseins, der Sehnsucht, der Leidenschaft, der Glückserwartung -, die die Liebenden beherrschen. Beiden Darstellungsweisen ist damit eine je spezifische‚Romantik' eigen. In ihr unterscheiden sich die beschriebenen Bilderbogen von jenen anderen Genrebogen, die ebenfalls Liebe und Ehe thematisieren, dabei aber humoristisch-moralisch argumentieren und teilweise auf eine ältere, volkstümliche Tradition zurückgreifen. Ein Beispiel für einen Genrebogen „gemütvolle[r] Heiterkeit und gutgemeinte[r] moralische[r] Ermunterung" ist die Geschichte von Krügers Jettchen und dem Schulzensohn, die jungen Frauen zur Mahnung und Warnung gereichen sollte: Wer sich bei der Freierwahl allzusehr ziert, so die unverhohlene Botschaft, der läuft Gefahr, ganz ohne Mann zu bleiben.8 Von der Sorge, rechtzeitig unter die Haube zu kommen, erzählt auch die Bildanekdote vom Herrn Schmidt, der sich überlegen muss, was er seinen vielen, so unterschiedlichen Töchtern jeweils als Mitgift geben kann („Herr Schmidt! Herr Schmidt!/Was kriegt Mariechen mit?/ Die sieht sich schon die Dreißig an,/Da müssen meine Groschen ran").9 Typische Motive der Volksüberlieferung waren neben dem Baum der Liebe, von dem man sich einen heiratswilligen Partner herunterschüttelte, die so genannte Weibermühle und ihr Pendant,die Männermühle. Als Motiv bereits im 16. Jahrhundert verwendet und auf europäischen Bilderbogen ab dem 17. Jahrhundert verbreitet, funktionieren die „Mühlen" etwa bei Gustav Kühn ganz im Sinne einer Rundumerneuerung. Nicht nur jung und schön kamen die garstigen Greisinnen unten wieder heraus, sondern auch sonst gebessert: „Die ihr Männern nicht gefallet,/Deren Zunge nur noch lallet,/Und die launenhaft ihr seid,/Euch steht Hülfe hier bereit."10

Von solcher burlesken Derbheit sind die beiden „Liebesbogen" aus dem Stadtmuseum Berlin weit entfernt. Ihre Verse berichten von sehr persönlichen, ernstzunehmenden Gefühlen („Ich habe keine Ruh' den ganzen Tag,/Weil ich an Dich nur denk' und denken mag,/ Und selbst die ganze liebe lange Nacht/Hab' ich nach Dir mich sehnend durchgewacht."). Oder die Bogen beschwören in Bild und Text eine in der Liebe gleichberechtigt erscheinende Zweisamkeit. In dieser Verkörperung von zärtlicher Gefühlsbindung und Treue spiegelten und verbreiteten die Bogen ein Ideal, das nach der Wende zum 19. Jahrhundert um sich griff: die bürgerliche Liebesehe, gegründet auf einer wechselseitigen, gefühlsbetonten, romantischen Beziehung. Dieses veränderte Eheideal war ein Gegenentwurf zur Vorstellung von der‚Ehe als Kontrakt', die ausschließlich materiellen und sozialen Kriterien gehorchte. Es begann sich in der Zeit der Empfindsamkeit zu entfalten, als die neu entstehenden bürgerlichen Schichten sich in ihrem Selbstverständnis vom Adel abzugrenzen suchten. „Dazu gehörte es - zumindest im Diskurs - auch, eine Eheanbahnung abzulehnen, die rein pragmatischen Gesichtspunkten verpflichtet war, wie in Adelskreisen zur Erhaltung der sozialen Position üblich."11 In Folge dieser Abgrenzung ‚erfand' das Bürgertum die ‚wahre Liebe' - was allerdings keineswegs bedeutete, dass Stand, Reputation und materielle Ausstattung keine Rolle mehr gespielt hätten. Vielmehr folgten Eheschließungen bis weit ins 19. Jahrhundert hinein gesellschaftlichen Reglementierungen, die nichts dem blinden ‚Zufall der Gefühle' überließen, sondern der ‚vernünftigen', für materielle Abwägungen offenen Liebe den Weg bahnten.12 Pragmatisch und kontrolliert blieben zwar demnach die Beziehungen der Geschlechter; daneben aber existierte und verbreitete sich gleichzeitig das Liebes-Ideal. Zu den Medien, die im Zuge der voranschreitenden Alphabetisierung die Vorstellung einer romantischen, liebegegründeten Beziehung der Geschlechter popularisierten, gehörten neben Bildern, Liedern und Büchern eben auch die Bilderbogen. Ihre Paar-Porträts und Paar-Szenen lieferten Anschauungsmaterial, wie Liebende miteinander umgehen; und sie eröffneten Raum für eigene Identifikationen und Wunschprojektionen - ‚Liebesbilder', die man betrachten und, zwischen Buch- und Briefseiten gesteckt oder in Alben gesammelt, festhalten konnte.

Die Bogen als Medium der Liebeskommunikation
Die‚Liebesbogen' boten allerdings nicht allein Muster und Anknüpfungspunkte für die eigenen Gefühle, sondern waren auch ein Mittel, um mit der geliebten Person in Kontakt und ins Gespräch zu kommen: Die Bilderbogen gehören in die Reihe der verschiedenen Medien, die - vom Lied und Gedicht über den Brief bis zum Geschenk - für die Kommunikation unter Liebenden eingesetzt wurden. Dabei changierte ihre Verwendung zwischen Liebesbotschaft und Liebesgabe.‚Botschaft' waren die Einzelbilder des Bogens durch das Zusammenspiel von Bild und Text. Beides zusammen zielte, in wechselseitiger Kommentierung, auf eine bestimmte Gefühlsmitteilung. So führten die Bogen mit Hilfe der ‚Stellvertreterpaare' und deren Sentenzen Szenen der Liebe vor Augen, die der Betrachtende mit der eigenen Situation in Beziehung setzen und entsprechend deuten konnte: als Wunschbild zum Beispiel, das zeigte, was sich erfüllen sollte; oder als Abbild im Sinne einer Bestätigung. Daneben konnten manche Szenen auch als Selbstoffenbarung des Adressanten gelesen werden, der sich etwa leidenschaftlich werbend oder treuherzig um Freundschaft bemüht präsentieren wollte.

Sehnen und Wünschen, Ermutigung und Bekräftigung gehören somit zu der Gefühlspalette, die man mit Hilfe der Schneidebildchen mitteilen konnte. Dem entsprechend waren sie, betrachtet man die verschiedenen‚Entwicklungsstadien' einer Liebesbeziehung, besonders für die Phase der Anbahnung geeignet. In dieser, extrem heiklen, Etappe einer Beziehung geht es darum, die zunächst einmal bestehende Kluft zwischen zwei Menschen zu überwinden, und, wie Benedikt Burkard formuliert, in einer Vielzahl von kommunikativen Akten die jeweiligen Lebensentwürfe zu synchronisieren.13 Gefühle, Vorstellungen, Werte gilt es also dem Gegenüber zu vermitteln. Dazu konnten die Schneidebildchen einen Anfang machen - und boten dem Adressanten zugleich die Möglichkeit, sich selbst noch ein wenig bedeckt zu halten: Denn die„kostbare Botschaft der Liebe" wurde hier ja nicht im selbstformulierten Bekenntnis, sondern über standardisierte Bilder und Texte transportiert. So nahmen die vorfabrizierten Bild- und Textzitate eigene Rede vorweg, ohne doch eigene Rede zu sein. Für sie gilt damit, was Anett Holzheid für ein jüngeres Medium der Liebeskommunikation, die Postkarte, ebenso konstatiert:„Lauthals lässt sich in dieser Mehrsprachigkeit locken und kokettieren, und notfalls ist es ein Leichtes, sich von derartiger Sendung zu distanzieren [...]."14 So erlaubte das ‚indirekte Sprechen' mit Hilfe der übermittelten Bild-Verse, sich gerade in der Phase der strenger sozialer Kontrolle unterworfenen Annäherung maßvoll zu zeigen und gesellschaftlichen Konventionen zu genügen. Dazu gehörte etwa, die Angebetete zu siezen, solange sie noch nicht offiziell zur Braut erkoren war, und auch für dieses Stadium hatten die Bilderbogen-Macher Passendes parat: „Es kränz' Lieb und Glück", heißt es in einem entsprechenden Vers, „Sie jederzeit im Lebengeschichteberlins/berlinabc/stichworteag/Und nie soll Ihr Geschick/Sie mit Gefahr umgeben."

Dass die Bilderbogen-Bildchen dieses Spiel von Nähe und Ferne zuließen, die Form wahren halfen und gleichzeitig Herzensbotschaften verrieten, war auch ihrer sprechenden Symbolik geschuldet. Alle Einzelbilder sind in verschwenderischer Fülle von Herzen, Blumen, ewigen Flammen, Tauben und Engeln gerahmt, die von zärtlicher, dauernder, treuer Liebe künden. Am stärksten mit dem Thema Liebe verbunden war das Herz. Aus der Emblematik der höfischen Minnekunst des Mittelalters stammend, symbolisierte es sowohl die himmlisch-mystische wie die irdische Liebe.15 Daneben dominiert auf den Bogen die ‚Blumen-Sprache' mit Rosen und Vergissmeinnicht. Hinzu trat eine deutliche Farbsymbolik: Rot als ‚Farbe der Liebe' kam bei den Blumen und bei den Kleidern der Frauen zum Einsatz und setzte einen starken optischen Akzent.

Nicht zuletzt diese überschwengliche Symbolik machte die Schneidebildchen zu einer geeigneten Liebesgabe. In ihr, als einer „verdinglichten Form der Kommunikation", bekommt die - bislang vielleicht noch unausgesprochene - Zuneigung eine sichtbare Bestätigung.16 Zu den klassischen Liebesgaben gehören unter anderen der Ring, der Brief und später die persönliche Fotografie, womöglich gar mit Widmung, die ein deutliches Zeichen der Bindung setzen. Doch wo es darum ging, den Kontakt zu der geliebten Person erst einmal zu etablieren oder ihn im Alltäglichen zu pflegen und immer wieder neu zu befeuern und zu bestätigen, waren auch weniger schwergewichtige, informelle romantische kleine Geschenke gefragt. Hier konnten die‚Liebesbogen'-Bildchen gute Dienste leisten.

An dieser Stelle zeigt sich ihre Verwandtschaft zu anderen Varianten des Schneidebogens, speziell zu den Devisenbilderbogen, die aus einer Vielzahl meist zweizeiliger, mit kleinen Bildern illustrierten Sprüchen und Versen, den Devisen eben, bestanden. An ein Gegenüber gerichtet, wurden sie beispielsweise auf Pfefferkuchen geklebt, einem Blumenstrauß beigegeben oder um Schokoladentäfelchen gewickelt.17 Ähnlich, doch mit deutlich anderen Konnotationen versehen, waren auch die‚Liebesbogen'-Bildchen zu verwenden. Auf welchen Wegen man sie übermittelte, ob als Gruß versandt oder einem Brief beigelegt, war dabei der Kreativität des Adressanten überlassen. Damit reihten sich die‚Bilderbogen für Liebende' ein in die im 19. Jahrhundert aufkommende Massenproduktion von Liebesgaben, die vom Schmuckstück bis zum Lebkuchenherz reichte. Lithographen und Druckfirmen spezialisierten sich zunehmend auf die Herstellung von papiernen Liebesgaben aller Art. Seit dem Biedermeier etablierte sich ein ganzer Wirtschaftszweig um die Produktion und Vermarktung von Luxuspapier, Grußkarten, Erinnerungskärtlein, Besuchsbillets usw., die auch mit Seide, Taft, Perlmutt, oder (nach 1870) sogar mit Zelluloid geschmückt sein konnten. Die Mesalliance zwischen romantischer Liebe und Konsumismus nahm hier ihren Anfang. Die Bilderbogen für Liebende führen eben dieses Paradoxon exemplarisch vor Augen: Sie waren typisierte Massenprodukte und wollten dabei doch ganz individuelle Botschaften des Herzens sein.
In der Stiftung Stadtmuseum Berlin existiert eine Sammlung von ca. 4.000 Bilderbogen vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zum 2. Weltkrieg. Einen besonderen Schwerpunkt bilden Bogen aus Neuruppin von Gustav Kühn und Oehmigke & Riemschneider sowie aus Berlin von Winckelmann & Söhne. Bilderbogen von der in Berlin ansässigen Firma Carl Schauer, seit 1853 C. Schauer Nachfolger, zählen zu den Raritäten der Sammlung. Bilderbogen sind,
da sie als Verbrauchsmaterial gedacht waren und vor allem nach 1840 auf billigem holzhaltigem Maschinenpapier hergestellt wurden, häufig in einem schlechten Erhaltungszustand.

Die Leiterin der Sammlung Historische Dokumente, Stiftung Stadtmuseum, Marlies Ebert, Tel.: 2061329-13 (-40), bittet daher um Hilfe bei Restaurierungsvorhaben. Spendenkonto: Stiftung Stadtmuseum Berlin, Berliner Volksbank, Kto. 8841032005, BLZ: 10090000, Cod: A6 Dokumente / Bilderbogen.

Anmerkungen
1 Theodor Fontane: Wanderungen in der Mark Brandenburg, Bd. 1, Berlin 1987, S. 45-51.
2 Für einen Überblick über die Geschichte der deutschen Bilderbogenproduktion vgl. Theodor Kohlmann: Zur Geschichte des Bilderbogens, in: Die große Welt in kleinen Bildern. Berliner Bilderbogen aus zwei Jahrhunderten, Berlin 1999, S. 11-21.
3 Die Berliner Sammlung wurde 1999 in einer Ausstellung auch einer breiteren Öffentlichkeit präsentiert, zu der ein reicher Katalog erschien: Die große Welt in kleinen Bildern, Berlin 1999, S. 11-21.
4 Teilkolorierte Lithographien, nach 1853, Stiftung Stadtmuseum Berlin, Sammlung Historische Dokumente.
5 Vgl. Helga Zettler, Carl Schauer, in: Die große Welt in kleinen Bildern, S. 85 ff.
6. Vgl. z. B. Frank Bösch/Manuel Borutta (Hg.): Medien und Emotionen. Zur Geschichte ihrer Beziehung in der Moderne, Frankfurt a.Mgeschichteberlins/berlinabc/stichworteag/New York 2006 (im Erscheinen).
7 Die Sonderausstellung liebe.komm. Botschaften des Herzens läuft vom 3. Februar bis zum 3. Oktober 2006 im Kommunikationsmuseum Berlin. Sie wird von einem ausgesprochen interessanten Katalogband begleitet: liebe.komm. Botschaften des Herzens, hg. von Benedikt Burkard, Heidelberg 2003 (= Kataloge der Museumsstiftung Post und Telekommunikation, Bd. 17).
8 Gertraud Zaepernick: Neuruppiner Bilderbogen, Leipzig 19822, S. 32-34, Zitat S. 32.
9 Im Stadtmuseum Berlin ist eine von Franz Burchard Doerbeck stammende Fassung des Verlages Winkelmann & Söhne erhalten. Dieser 1830 entstandene Bogen ist möglicherweise die noch mehrfach wiederholte und später auch abgeänderte „Urfassung". Vgl. Andreas Teltow: Drucktechniken, Künstler und
Motive Berliner Bilderbogen, in: Die große Welt in kleinen Bildern, S. 33.
10 Zaepernick: Bilderbogen, 1982, S. 28; Bilderbogen „Die Weiber-Mühle" ebd., Tafel 12 (Zitat); s. dazu auch Konrad Vanja: Themen des europäischen Bilderbogens in der Sammlung Hecht, in: „Was ist der Ruhm der Times gegen die zivilisatorische Ausgabe des Bilderbogens?" Die Bilderbogensammlung Dietrich Hecht, hg. von der Kulturstiftung der Länder, Berlin 1995, S. 17-57, hier S. 35.
11 Franziska Roller: „Say you don't need no diamond ring", in: liebe.komm, S. 121-229, hier v.a. S. 224 (Zitat).
12 Ebba D. Drolshagen: Nur die Liebe zählt, in: liebe.komm, 2003, S. 28-37, hier v.a. S. 29f.
13 Benedikt Burkard: Die Boten des Glücks. Liebe im Zeitalter der Kommunikation in: liebe.komm, 2003, S. 10-27, hier S. 11.
14 Anett Holzheid: Das liebe Spiel mit offenen Karten. Die Postkarte als Medium der Liebeskommunikation, in: liebe.komm, 2003, S. 122-131, hier S. 130; das vorausgegangen Zitat ebd., S. 122.
15 Roller: „Say you don't need", S. 215.
16 S. hierzu und zum Folgenden Roller: „Say you don't need", Zitat S. 212.
17 Vgl. Zaepernick: Bilderbogen, 1982, S. 40.

Von Jessica Kraatz Magri und Bettina Effner

Anschrift der Verfasserinnen:
Jessica Kraatz Magri, Linienstr. 154a, 10117 Berlin
Bettina Effner, Strelitzer Str. 14, 10115 Berlin