Die Geologische Karte von Berlin, Lossen, 1879
Von Hansjürgen Vahldiek

In der Berlin-Literatur, die nach dem Zweiten Weltkrieg erschien, sind die Einflüsse von A. F. Lossen[1] vorherrschend. Leider wird diese Karte von dem Zeitgeschmack des 19. Jahrhunderts dominiert und weicht deutlich von der jetzigen Geologischen Karte von Berlin ab. Die grundsätzlich andere Beurteilung des Geländes betrifft den Berliner Stadtgraben, das Stadtgebiet von Cölln und Berlin und das Friedrichswerdersche Gebiet. Demzufolge müsste sich die Berlin-Literatur zukünftig anders orientieren.

Allerdings muss ganz deutlich gesagt werden, dass es nicht möglich ist, das Gelände von Berlin-Cölln, wie es ehemals war, genau zu beschreiben. Das betonte auch Lossen, denn die Deckschicht sei durch Bautätigkeit bis zu 4 m tief "durchwühlt" worden. Diesbezüglich war Lossens Situation der heutigen bereits sehr ähnlich. Viele der Angaben entspringen aber aus seiner Sicht der Dinge. Es sind oft Vermutungen. Und so hat er aus den wenigen Bohrungen, die etwa 200 m und mehr auseinander lagen, etwa 30 Profile erarbeitet.

Da es um den groben Überblick ging, hat er Feinheiten nicht berücksichtigt. Allerdings hat er dabei seinen Interpretationsspielraum weitläufig ausgenutzt und die Verläufe der Schichten seinen und den Vorstellungen seiner Zeit entsprechend angegeben. Bei der Auswertung der einzelnen Schichtenfolgen aus den Bohrdaten floss auch seine spezielle Meinung über das betreffende Gelände ein, was nicht immer der Realität entsprach.

Das lässt sich sehr deutlich an seinem Profil XIII und seiner Bohrung 184 zeigen. Ihm stand in einem Umkreis von 200 m nur diese Bohrung, hier auch mit a2 bezeichnet, zur Verfügung. Die Schichtenfolge: Auffüllung bis 31,1 m (Zuschüttung des Grabens), bis 30,3 m Faulschlamm (Boden des Grabens), darunter Sand. Aufgrund seiner Vorstellung, hier sei der Berliner Nebenarm geflossen, entwarf er mit Hilfe dieser einzelnen Schichtenfolge (von 184/a2) sein Profil mit dem weitläufigen Verlauf des vermuteten Flusstals, in das der Graben viel zu weit hineinreicht, denn der Graben ging nur bis etwa 30 m. Der Verlauf der Auffüllung entspricht seinen Vorstellungen, nicht aber den Tatsachen. Erst heute können wir die Zusammenhänge in Anbetracht der 10-fachen Bohrlochzahl besser beurteilen. Lossen fehlte z. B. die Schichtenfolge von a1 und a3, deren Zusammensetzung wir heute wegen der längeren Erfahrung sicherer deuten können. Demnach ist ein Berliner Spreearm nicht erkennbar.

Bei der Beurteilung der Lossenschen Karten muss man also vorsichtig sein, denn als Pionier hatte er eine ihm völlig unbekannte Struktur des Geländes vor sich. Dazu fehlten ihm auch die heutigen Möglichkeiten bei der Auswertung der Schichtenfolge.
Seine Bodenuntersuchungen dienten der Erforschung des Berliner Grundes. Es galt die großflächigen Gegebenheiten im Hinblick auf die Kanalisation und Entwässerung zu erforschen. Die Dringlichkeit dieser Maßnahmen wurde durch die Auswirkungen des Hochwassers von 1855 und 1876 offenkundig.

Vorarbeiten hatten Lampe 1833 und dann Knuth mit 260 Bohrlöchern geliefert. Lossen fiel nach dem plötzlichen Tod von Knuth die Aufgabe zu, das vorhandene Material zu erweitern, zu ordnen und als "Geologische Karte von Berlin" herauszubringen. Es war eine Pioniertat. Die Ergebnisse von 316 Bohrungen lagen in Form von 8900 Proben vor.
Die wenigen Bohrungen konnten nur einen Überblick und ein allgemeines Schema darüber liefern, welche Schichten in Berlin vorliegen. Um so erstaunlicher ist es, dass er mit den wenigen Bohrungen eine Darstellung herausarbeiten konnte, die in groben Zügen noch heute Gültigkeit hat.

Der Berliner Stadtgraben
Wenn man den glatten, ja nahezu gezirkelten Verlauf des Berliner Stadtgrabens betrachtet, kann man sich kaum vorstellen, dass die Natur diesen Graben vorgegeben haben soll. Um diesem Gedanken zu entgehen, hat Berthold Schulze[2] 1962 folgende Meinung vertreten: "Inmitten dieses Spreewaldes lagen zwei Inseln. Nach Meinung der Geologen war nicht nur Cölln ursprünglich eine Insel. Sondern auch der Platz, auf dem Berlin entstand, ist nordöstlich von einem natürlichen Spreegewässer umschlossen gewesen, aus dem die Bürger den nordöstlichen Graben ihrer Stadtbefestigung gemacht haben." Das nun, obwohl schon 1921 Paul Clauswitz[3] seine Bedenken angemeldet hatte, und Friedrich Solger[4] seit 1925 äußerte, dass zur Zeit der Besiedlung ein Vorhandensein von Spreearmen auszuschließen sei.

Aber nun zu Lossen. Er hatte die feste Vorstellung, dass sich die von Stralau kommende Spree gegabelt hat: In der Mitte der Hauptarm und jeweils rechts und links ein Nebenarm, so dass die Berliner als auch die Cöllner Insel entstand. Demnach befanden sich Berlin und Cölln auf einer natürlichen Insel. Er dachte, diese Arme, bzw. deren Flusstäler, hätten, wie der Hauptarm der Spree, eine Tiefe von etwa 10 m. Daraus entwickelte er seine Reliefdarstellungen. Wie das Beispiel zeigt, besteht hier ein grundsätzlicher Unterschied zur heutigen Meinung. Denn die geologische Entwicklung verlief offenbar anders, als es sich Lossen und seine Zeit dachten: Östlich von Berlin hatte das Schmelzwasser keine Rinne in den Talsand geschnitten. Erst später, als größere Wassermengen anstanden, trat die Spree über die Ufer.

Die Überflutung reichte bis zum Alexanderplatz. War die Wassermenge groß genug, wurden Teile des Geländes bis zu einer Tiefe von maximal 5 m abgetragen. Das war ein chaotischer Prozess, denn es fanden dabei auch wiederum Ablagerungen statt. Zog sich das Wassers zurück, entwickelte sich auf dem mit Sand überschichteten Überflutungsgebiet eine Vegetation, wobei auch Moore entstanden (Verlandungsprozess). Letzteres war insbesondere in den zahlreichen kleinen Senken der Fall. Es gab sogar größere Senken mit einer Tiefe von bis zu 10 m. Diese Moor- oder Torfschichten wurden während einer wiederholten Überflutung mit Sand überschichtet, liegen also unter Tage. Diese Vorgänge begannen unmittelbar am Ende der Eiszeit (früh alluvial) und dauerten mehrere tausend Jahre.

Bohrungen am ehemaligen Berliner Stadtgraben, das Profil XIII von Lossen und die Schichtenfolgen der Bohrungen a1 bis a3
Zeichnung vom Verfasser

In das verlandete Gebiet, auch als Altwasser bezeichnet, wurde der Berliner Stadtgraben eingebracht. Da der Stau am Mühlendamm an der Oberspree einen Pegel von etwa 32,2 m NN zur Folge hatte, musste der Graben auf eine Tiefe von weniger als 32,2 m gebracht werden, damit das Wasser überhaupt in den Graben gelangen konnte. Wie die Schichtenfolgen von a1 bis a3 zeigen, ist das bei a2 der Fall. Es ist anzunehmen, dass der Berliner Stadtgraben an dieser Stelle bis 30,3 m reichte und zunächst nur eine Wassertiefe von etwa 2 m hatte, bis sich an seiner Sohle Faulschlamm ablagerte. Das von Lossen angegebene Profil mit seinem Flusstal ist also nicht denkbar! Einen Spreearm hat es hier nicht gegeben.

Dünensandkuppen in Berlin
Lossen hat in seiner Geologischen Karte drei Dünensandfelder in Berlin und ein Feld in Cölln angegeben. Die Ausrichtung entspricht der vermuteten Windrichtung, die nach der Eiszeit geherrscht haben soll, als die starken Winde aus der Sandlandschaft, die noch nicht mit Vegetation bedeckt war, kleinste Partikel herauslöste. An geeigneten Hindernissen sammelten sich der Dünensand. P. Assmann[5] hat errechnet, dass sich in dem flachen Gebiet von "Berlin/Cölln" eine Dünensandschicht von höchstens 0,4 m Stärke hat bilden können. Soweit die Fakten.

Lossen hat in seinen Profilen eine Schichtdicke von etwa 1,5 m angegeben und das, obwohl in seinen Schichtenfolgen keine Dünensand-Notierung auftaucht. Es ist wiederum eine Darstellung, die seinen Vorstellungen und denen seiner Zeit entspricht. Er sagte ja selbst, dass es unmöglich sei, den ursprünglichen Berlin-Cöllner Boden zu beschreiben, und er den Versuch unternehmen wolle, seine Einschätzungen wiederzugeben. Interessant ist auch, wie er die Dünensandkuppen in die Auffüllungsschichten einbaut. Sie liegen ja unter Tage und entziehen sich so dem Betrachter, der durch Berlin-Cölln laufen würde. Waren sie also überhaupt vorhanden?

Somit dürften auch die Beschreibungen von Fidicin[6] anzuzweifeln sein, der die Petrikirche auf den höchsten Punkt von Cölln "gesetzt" hat. Trotz intensiver Bemühungen hat Albert Kiekebusch[7] um 1926 keinerlei Hinweise zu Fidicins Angaben entdeckt. Die Kirche lag nach Lossens Karte am Rande der Dünensandkuppe, nicht aber auf der Kuppe. Übrigens lagen von insgesamt fünf Bohrungen nur zwei auf einer Kuppe, die anderen immer am Rande. Wie er auf die Lage der Dünensandflächen gekommen ist, bleibt ungeklärt. Manche Autoren verwenden den Begriff Talsandkuppe, auf deren höchstem Punkt die Kirchen und das Rathaus gelegen haben sollen. Weder das Vorhandensein von Dünensandkuppen noch das von Talsandkuppen ist nachweisbar. Hätten sie jemals existiert, so wären sie längst bei den vor tausenden von Jahren zurückliegenden Prozessen abgetragen worden oder wären spätestens bei den umfangreichen Bautätigkeiten verschwunden.

So scheint man die Dünensandkuppen, den Vorstellungen entsprechend, in die Literatur eingeführt zu haben. Es war eine Vermutung, mehr nicht. Sicherlich, man hatte herausgefunden, dass sich einstmals die Siedler gerne am Rande von Talsandinseln ansiedelten, auf denen Dünensand lag. Für Berlin war das offensichtlich nicht der Fall, zumal die Siedlungsplätze in frühester Zeit als hochwasserfest und trocken galten. Erst später nach dem Stau der Spree und der "Verstopfung" der Unterspree gab es die katastrophalen Hochwasser-Situationen.

Der Cöllner Stadtgraben am Friedrichswerder
Der Bereich nördlich der Gertraudenbrücke ist äußerst schwer zu beschreiben. Einen gewissen Anhaltspunkt bietet der Memhardt-Plan als erstes Zeugnis über Berlin-Cölln, aber auch er bietet nicht die letzte Sicherheit, weil einige Punkte als Plan und nicht als Realität anzusehen sind.
Wie verunsichert die Autoren sind, zeigen die vielen Pläne, die die Einschätzung der weit zurückliegenden Zeit wiedergeben. Demnach floss hier der zweite, der Cöllner Spreearm, und zwar noch zur Zeit der Besiedlung. Im Bereich vom Friedrichswerder geben manche Autoren nicht nur einen, sondern zwei, andere sogar drei Aufspaltungen des Spreearms an. Diese Karten sind äußerst widersprüchlich, weil dort, wo sich eine Insel befindet, bei anderen Karten ein See liegt und umgekehrt. Unmöglich also, sich ein Bild zu machen und selbst eine sinnvolle Einschätzung abzuleiten.

Lossen hat in seine Geologische Karte Angaben eingeblendet, die im Jahre 1835 von J. M. F. Schmidt[8] in einem Kartenatlas erschienen sind. Die Karte für die Zeit von 1415, dem Amtsantritt von [Kurfürst ] Friedrich I., zeigt Berlin-Cölln. Es handelt sich um eine Einschätzung für eine weit zurück liegende Zeit, von der keinerlei Karten vorliegen. Wie sich Schmidt die Funktion des in diesem Gebiet dreifach aufgespaltenen Spreearms vorstellte, ist unerklärlich. Er konstatiert am Mühlendamm den Stau der Spree (wozu eigentlich?). Damit führte auch der Spreearm Oberwasser. Mehrere Archen wären erforderlich, damit das Oberwasser nicht in die Unterspree schießt. Von den Archen ist nichts zu erkennen.

Ferner sind zwei Inseln angegeben, die es nicht gegeben haben kann. Lossen weist an diesen Stellen Faulschlamm aus. Im Bereich der heutigen Schleusenbrücke befand sich in dem ehemaligen eiszeitlichen Spreearm, den auch Lossen beschreibt, ein "Riegel", von dem Lossen aber keine Ahnung hatte. Dieser "Riegel" hat zu einer frühzeitigen Verlandung dieses Gebietes geführt. Die Bildung solcher Inseln hätte er verhindert.

Diese Bemerkungen gelten im Prinzip auch für andere Darstellungen, die Inseln angeben, als seien es Sandbänke im Spreearm. Auch diese hätten sich wegen des "Riegels" gar nicht bilden können, weil die Strömungsverhältnisse dazu untauglich waren. Auch fehlt in den Karten der über 10 m tiefe Werdersche Pfuhl südlich vom Riegel. Er lag vor dem jetzigen Staatsratsgebäude* und hat dieses Gelände maßgeblich geprägt.

So hat der vielfache Versuch, die Gegend am Friedrichswerder darzustellen, zu vielen Varianten geführt. Leider wird immer wieder die Behauptung von Friedrich Nicolai wiederholt, dass der Spreearm hier dreigeteilt war. Dem ist auch Lossen gefolgt und hat das durch die Einblendung der Schmidt-Karte von 1415, die aber 1835 erstellt wurde, noch gestärkt. Hätte man nach dem Kriege doch nur auf Solger gehört, der ja schon 1925 darauf hingewiesen hat, dass dieses Gebiet zur Zeit der Besiedlung längst verlandet war und die Menschen den Cöllner Stadtgraben mühevoll, im Verlauf von Jahrhunderten immer wieder verlegt, also künstlich angelegt haben.

Anmerkungen

1. A. F. Lossen: Der Boden der Stadt Berlin, Berlin 1879.
2. Berthold Schulze: Berlin und Cölln bis zum Dreißigjährigen Kriege, in: Otto-Friedrich Gandert, Berthold Schulze, Ernst Kaeber u.a., Heimatchronik Berlin, Köln 1962, S. 69.
3. Paul Clauswitz: Das Stadtbuch des alten Kölln an der Spree, Heft 52, Berlin 1921, S. 6.
4. Friedrich Solger, in: Mitteilungsblatt der Landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg, Nr. 50, 1965, S. 418.
5. Paul Aßmann: Der geologische Aufbau von Berlin, Berlin 1967, S. 44.
6. Ernst Fidicin: Die Gründung Berlins, Teil V, Berlin 1840, S. XVIII.
7. Albert Kiekebusch: Die Gründung Berlins, in: Brandenburgica, Bd. 36, Berlin 1927, S. 106.
8. J. M. F. Schmidt: Historischer Atlas von Berlin, Berlin 1835.

Aus: "Mitteilungen" 1/2003

Anmerkung der Redaktion: *Gemeint ist das als Staatsratsgebäude der DDR errichtete Gebäude an der Stelle des einstigen Dominikanerklosters.