Die Berliner Mühlendammschleuse in der Kriegs- und Nachkriegszeit
Von Hansjürgen Vahldiek und Manfred Hendewerk [1], im Juni 2012
Schon seit Jahrtausenden war die Spree eine wichtige Ost-West-Handelsverbindung. Als man um 1245 den Berliner Mühlendamm anlegte, wurde der durchgängige Schiffsverkehr jäh unterbrochen. Der Stau von 1,7 m, der sich bis nach Köpenick auswirkte, war ein künstlicher Eingriff in die Natur. Er hob den Flusspegel auf 32,20 m NN an und damit auch das Grundwasser im Bereich der Oberspree. Die zuvor bei Niedrigwasser ausgehobenen Berliner und Cöllner Stadtgräben wurden geflutet. Die geologischen Daten [2] lassen auf ein Niedrigwasser von 30,20 m NN schließen [3].
Wegen der unterschiedlichen Flusspegel gab es nun in Altberlin zwei verschiedene Grundwasserbereiche. Unterhalb des Dammes existierte der alte Flusspegel von etwa 30,50 m NN. Und oberhalb stand das Oberwasser von etwa 32,20 m NN an. (Jetziger Mittelwert 32,28 m NN). Noch heute wird die Spree hier bei der Schleuse von der 32-m-Grundwasserlinie gekreuzt. Da sich die Natur im Laufe der Jahrhunderte auf diese Situation eingerichtet hat, muss die Oberwassersituation erhalten bleiben!
Das wurde schon von Kurfürst Joachim II. berücksichtigt, als er um 1450 im jetzigen Spreekanal an der Schleusenbrücke die alte Stadtschleuse bauen liess und selbstverständlich auch bei der ersten, 1893 fertiggestellten Mühlendammschleuse. Bei den Planungen, die schon 1885 begonnen hatten, nahm man massive Eingriffe in die historische Bausubstanz am Mühlendamm in Kauf.
Wegen des stark gestiegenen Verkehrsaufkommens nahm man sofort die Planungen für eine erneute Erweiterung der Mühlendammbrücke und den Neubau der Mühlendammschleuse in Angriff.
Denkschrift von 1930
Aus dieser Denkschrift, die der Stadtrat Hahn im November vorlegte, ging hervor, dass sich die Probleme nur mit radikalen Maßnahmen lösen lassen. Seinen Vorschlägen wurde weitgehend gefolgt: Der gesamte, umfangreiche Komplex des einstigen Mühlendamms und die im Uferbereich liegenden Gebäude wurden total abgerissen. Die alte Mühlendammschleuse (1893) blieb aber in Betrieb, um den Schiffsverkehr weiterhin aufrecht erhalten zu können.
An die Bauführung stellte man höchste Anforderungen, denn es sollte nicht nur eine neue Brücke errichtet werden, sondern außer der neuen Schleuse sollte auch noch ein U-Bahn-Tunnel gebaut werden. Ständig operierte man mit provisorischen Brücken. Um den Schiffsverkehr an den jeweiligen Fortgang des Baugeschehens anzupassen, mussten immer wieder neue Spundwände zur Abgrenzung der Baustellen eingezogen werden. Dieses Material wurde selten nach der Nutzung herausgezogen, sondern meist direkt über der Sohle des Flussbetts abgeschnitten und vermischte sich so mit den im Flussbett liegenden historischen Holzpfählen.
Abriss der alten Schleuse
1937 erfolgte zunächst ein Teilabriss der alten Mühlendammschleuse [4]. Sie blieb aber bis zur Fertigstellung der neuen Schleuse im Jahre 1942 mit den alten Schleusentoren und dem alten Maschinenhaus in Betrieb. Das Maschinenhaus stand auf einer „Insel".
Auf den Schleusenmauern lag die Notbrücke. Diese Kopplung erschwerte den Abriss. Einige Daten zur Notbrücke: 1938 erbaut, 1945 von der Deutschen Wehrmacht gesprengt, 1946 behelfsmäßig hergestellt, am 1. Sept. wieder eröffnet. 1950 erfolgte die Verbesserung der Bausubstanz. Der Bohlenbelag musste ständig ausgebessert werden.
Einzelheiten über den endgültigen Abbau der alten Schleuse und der Notbrücke sind offenbar nicht überliefert, lassen sich aber anhand von Fotos und Zeitungsausschnitten rekonstruieren [5]. Die Arbeiten erfolgten in zwei Bauabschnitten: Zunächst wurde der Neubau der Mühlendammbrücke vorangetrieben. Nach ihrer Fertigstellung wurden die Notbrücke und der Rest der alten Schleuse (an der Burgstrasse) entfernt.
1952 Beginn von Sprengungen, um die Höhe der Schleusenmauern einzukürzen und das Roland Ufer zurückzubauen. Dort befand sich die 1938 fertiggestellte Gründung für die neuen Brückenpfeiler.
1965 Unter der Notbrücke sind noch Reste der alten Schleusenkammer zu sehen. Im Blatt des Bundesarchivs heißt es: „Gegenwärtig wird von den Arbeitern des VEB Tiefbau der alte Schleusenboden beseitigt. Dem 2 m dicken Betonboden geht man mit Sprengungen zu Leibe.". Die Baustelle war mit einer umfangreichen Spundwand abgegrenzt. Die Flusssohle hatte man abgetieft.
1968 geht die neue Brücke in Betrieb.
1969 Entfernung des Maschinenhauses und der restliche Abriss der alten Schleuse. Das Maschinenhaus hatte nach dem Kriege nicht nur als Dienstgebäude gedient. Dort waren auch zwei Dienstwohnungen untergebracht.
1976 wurden Stahlplatten dicht über der Flußsohle (um 28 mNN) abgeschnitten, um die Fahrrinne freizumachen. Das waren die letzten Arbeiten des weitläufigen Umbauprogramms, das 1930 begonnen hatte.
Vor der alten Kaimauer an der Burgstraße wurde nach dem Kriege eine Mauer errichtet und verputzt. Erst 1986 wurde die vorgesetzte Mauer abgesprengt, so dass die ursprüngliche, alte Mauer mit den Bögen zum Vorschein kam.
Schifffahrt
Während des Abbaus des Mühlendamms wurden die Schiffe nach wie vor mit der alten Schleuse geschleust und an der mit Spundwänden umgebenen Baustelle der neuen Schleuse vorbeigeführt. Von 1940 bis 1942 erfolgte die Zuführung zur alten Schleuse über die neuen Schleusenkammern. Ab 1942 war die neue Schleuse in Betrieb. Nun wurde der Bereich „alte Schleuse und Maschinenhaus" mit Spundwänden abgetrennt, so dass auf der Cöllner Flussseite nur eine schmale Fahrrinne als Zufahrt zur neuen Schleuse bestand. Diese Situation blieb durch die Kriegswirren für lange Zeit erhalten.
Als die neue Schleuse nach dem Kriege wieder geöffnet wurde, erfolgte die Zuführung in zwei Richtungen. Die abwärts fahrenden Schiffe fuhren nach der Schleusung durch die alte Schleusenkammer. Die aufwärts fahrenden Schiffe leitete man - durch Spundwände eingeengt – auf der Cöllner Flussseite in die Schleuse.
Als der im Kriege begonnene Neubau der Mühlendammbrücke um 1950 wieder aufgenommen wurde, setzte man den Abriss der verbliebenen Bausubstanz des Mühlendamms fort. Die durch Spundwände abgegrenzten Baustellen erschwerten den Schiffsverkehr, der sich nun nur wechselseitig durchführen ließ. Da es noch keinen Sprechfunkverkehr gab, war die Kommunikation schwierig. Man arbeitete mit Lichtsignalen.
Die Teilung der Stadt im Jahre 1962 brachte weitere Probleme. Um Fluchtversuche zu erschweren, wurde zunächst an der Eisenbahnnotbrücke (nahe der Elsenbrücke), dem sogenannten „Tausendfüssler" wie im Mittelalter ein „Baum" eingerichtet, der des Nachts in die Fahrrinne gezogen wurden. Immer wieder gab es Fluchtversuche, bei denen die Schiffsführer den Kahn verließen. Um die Fahrt frei zu machen, musste der Kahn umgesetzt werden.
Anmerkungen
- Herr Manfred Hendewerk war Jahrzehnte lang in verschiedenen Bereichen im Wasserstraßenhauptamt Berlin tätig
- Vahldiek, Hansjürgen: Cölln an der Spree, 2005
- Das Mühlendamm-Null, der im Kurfürstentum Brandenburg geltende Nullpunkt, lag beim Wasserstandstiefstwert von 29,95 m NN. Man hatte ihn immer korregiert, um im praktischen Betrieb positive Pegelstände angeben zu können.
- Kropp, Paul-Erdmann: Umbau einer Staustufe, Die Bautechnik, Heft 40/42, Seite 350 ff.
- Vahldiek, Hansjürgen: Denkschrift zur Bergung historischer Bausubstanz des Berliner Mühlendamms, August 2012