Die alte Dorfkirche von Tegel und die Familie von Humboldt
Von Dr. P. F.-C. Wille


Das Dorf Tegel ist - so darf man annehmen - zu Beginn des 13. Jahrhunderts als ein Kirchdorf mit selbständiger Mutterkirche gegründet worden. Die Geshichte dieser kleinen Dorfkirche liegt für Jahrhunderte im Dunkeln. Erst aus dem Jahre 1714 erfahren wir etwas Näheres: "Die Kirche ist sehr gering, klein und von Holz erbaute mit einer schlechten Lehmwand, hat zwar zwi Glocken, welche mit unterschiedlichen Marien-Bildern und anderen dergleichen gezieret sind, ist aber fast nicht zu erkennen, was es sein soll".[1]

10 Jahre später veranlaßte König Friedrich Wilhelm I. durch Subventionen einen Wiederaufbau der Kirche, welche nach Größe und Ausführung etwa der alten glich.[2] Es war wohl aber ein rechter Notbau, der sich bald als zu klein und nach kurzer Zeit auch als baufällig erwies. So wurde 1756 statt des bisherigen Fachwerkbaus ein massives Gebäude im einfachen Barockstil errichtet. Auf der westlichen Seite der Kirche erhob sich ein fester, viereckiger Turm mit niedriger Spitze.[3]

Infolge Zunahme der Einwohner mußte nach 1871 ein Erweiterungsbau vorgenommen werden. Bei dieser Gelegenheit wurde die Turmspitze erhöht, am östlichen Ende die Apsis angebaut und im Innern der Chor erweitert.[4] Von diesem vergrößerten Bau ist uns eine Abbildung nach einer Photographie in der Wietholzschen Chronik5 erhalten. - Das unerwartete Wachstum der Gemeinde, die 1910 bereits 19 000 Einwohner zählte, zwang schließlich zu einem modernen Neubau und zum Abbruch der alten Kirche, die 153 Jahre vielen Generationen, darunter auch der Familie von Humboldt, zur Andacht gedient hatte.[5a]

Die folgenden Ausführungen sollen sich mit der alten barocken Dorfkirche aus der Zeit von 1756 bis 1871 näher beschäftigen. Walter C. Türck berichtet in seinem 1950 erschienenen Buch "Die Dorfkirchen von Berlin"[6] unter anderem auch "von Kirchen, die einst standen".[7] Dem "Tegler Kirchlein" ist darin ein besonderer Abschnitt gewidmet. Folgende in diesem Zusammenhang gestellte Frage ist für uns von besonderem Interesse: "Wie haben alle diese Kirchen ausgesehen? Nicht nur von den Tegeler Kirchen, auch von den einstigen Bauten von Buch, Niederschönhausen, Zehlendorf usw. fehlen Ansichten"![8]

Diese hier gezeigte Lücke soll durch die beigefügte Abbildung,[9] einer bisher unbekannt gebliebenen Handzeichnung von Kloß [10] (Abb.), ausgefüllt werden. Sie stellt die um die Mitte des 18. Jahrhunderts erbaute "schöne Tegelsche Kirche" etwa aus der Zeit um 1850 dar. Kloß hat als Blickpunkt die Turmansicht gewählt, also von der Westseite aus gezeichnet. Wir müssen dem Künstler für diese Skizze dankbar sein, auch wenn sie nicht ganz die stimmungsvolle Schilderung einfängt, mit welcher Wietholz seine Betrachtungen schließt: "Schlicht und traut stand sie einst da im idyllischen Naturrahmen der historischen Dorfaue, überschattet und umrauscht von gewaltigen Baumriesen, über deren Wipfel die Turmspitze kaum hinausragte".[11]

Die bereits erwähnte Wietholzsche Chronik verweist bereits durch ihren Titel: "Geschichte des Dorfes und Schlosses Tegel" auf die Beziehungen, welche zwischen Schloß und Kirche bestanden haben müssen. So kommt durch die Familie von Humboldt zu dem topographischen noch ein kulturhistorischer Aspekt. Seit 1769, also bald nach dem Bau der "schönen Tgelschen Kirche", verlebten die Eltern der Brüder Humboldt mit diesen regelmäßig einen großen Teil des Jahres dort. Später war es vor allem Wilhelm von Humboldt, der nach seiner Berufung zum Leiter der Kultur- und Unterrichtsabteilung im preußischen Innenministerium der Sommermonate dort mit seiner Familie verbrachte. Noch mehr zog es ihn nach dort, als er 1819 aus dem Staatsdienst ausgeschieden war. es war mehr als nur der Wunsch, sich hier einen Alterssitz zu schaffen, als er Schinkel den Auftrag gab, dieses Schlößchen im klassizistischen Stil auszubauen und mit den während des römischen Aufenthalts gesammelten Kunstgegenständen in einen harmonischen Zusammenhang zu bringen.[12]

Doch kehren wir noch einmal zu unserer kleinen Kirche zurück. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß zu allen Zeiten die Gutsherrschaft das Gotteshaus besucht hat. Für diese waren - wie das damals allgemein üblich war - bestimmte Plätze in der Kirche vorbehalten. Noch aus späterer Zeit hören wir, daß in dem 1871 erfolgten Erweiterungsbau "die beiden Querbänke zur Seite des Altars für die Schloßherrschaft bestimmt war".[13]

Auch in den Tagen der Trauer war die Kirche Zuflucht und Trost. 1819 wurde Karlonie von Humboldt auf dem Dorffriedhof im Schatten des alten Gotteshauses zunächst beigesetzt, bis der später so bekannt gewordene Begräbnisplatz, der von der von Thorwaldsen geschaffenen Spes auf hoher Säule überragt wird, fertig gestellt war.[14]

Diese Tradition setzte sich in der nächsten Generation fort. Adelheid, die älteste Tochter (spätere "Generalin von Hedemann") vermachte in ihrem Testament vom Februar 1855 eine Donation von 400 Thalern "zur Beschaffung einer guen, der kleinen Kirche angemessenen Orgel". Ihrem Wunsch, daß zur Feier ihrer Beisetzung die Orgel zum ersten Mal gespielt werden möge, wurde entsprochen.[15] Auch ihre Schwester Gabriele von Bülow, die spätere Besitzerin des Schlößchens, hielt diese Verbindung aufrecht. Anläßlich der Einweihung des erweiterten Kirchenbaus im Jahre 1872 lud die Schloßherrin zu einem Festmahl ein.[16] Für die innere Ausschmückung des Gotteshauses insbesondere für die Altarbekleidung und Kanzeldekoration sorgten die Geschwister v. Bülow und Frau v. Heinz.[17] So begleiteten durch Generationen Mitglieder der Familie von Humboldt die Geschichte der kleinen Dorfkirche.

Das Schlößchen Tegel, eine einmalige Schöpfung Wilhelm von Humboldts und seines Architekten Schinkel, ist bis auf unsere Tage erhalten geblieben. Die alte barocke Kirche dagegen ist abgetragen worden. In der Erinnerung fällt jedoch durch die Familie von Humboldt ein weihevoller Glanz auf dieses Kirchlein, dessen Abbildung hier zum ersten Mal gezeigt wird.

1 Wietholz, August: Geschichte des Dorfes und Schlosses Tegel. Berlin-Tegel, 1922, S. 309.
2 Ebenda, S. 310.
3 Ebenda, S. 311.
4 Ebenda, S. 312/313.
5 Ebenda, Anhang, Tafel 14.
5a Ebenda, S. 317 ff.
6 Türck, Walter C.: Die Dorfkirchen von Berlin. Berlin, 1950.
7 Wietholz, a.a.O., S. 16/17.
8 Ebenda, S. 17. - Wir finden bei Wietholz (S. 312) noch folgende Bemerkung: "Diese schöne Tegelsche Kirche, wie sie Pastor Krabbes bezeichnete, von der noch eine vom Gutsbesitzer Karl Müller geschenkte Skizze im Pfarrhaus ist..." das noch heute im Pfarrhaus befindliche Blatt ist Bezeichnet: "Partie aus Tegel", eine Lithographie von L. Hübner um 1830. Sie zeigt die Kirche von Südosten.
9 Aus der Sammlung des Verf.
10 Vgl. über F. W. Kloß: Wille, P. F.-C.: Unbekannte Darstellungen aus dem alten Berliner Rathaus ... Mittlg. d. Vereins f. d. Gesch. Berlins, neue Folge, 1966, Nr. 5, S. 63.
11 Wietholz, a.a.O., S. 317.
12 Sydow, Anna von: Caroline von Humboldt in ihren Briefen 1788 bis 1835. Berlin, 1935, S. 327 ff.
13 Wietholz, a.a.O., S. 313.
14 Rave, Paul Ortwin: Wilhelm von Humboldt und das Schloß Tegel. Leipzig, 1950, S. 215. Ferner Brief Wilhelm von Humboldts an Welcker vom 29. März 1829. Schmidt von werneuchen (1764-1838) hat in einem Gedicht des kleinen Dorffriedhofs als "stillem Wohnort nächtlicher Gespenster" gedacht.
15 Wietholz, a.a.O., S. 311/312.
16 Ebenda, S. 313.
17 Ebenda, S. 316.



Aus: "Mitteilungen" 2/1971, S. 30-32.

Anmerkung der Redaktion: Der Text wurde fast unverändert übernommen. Offensichtliche Schreibfehler wurden korrigiert, die Hervorhebungen der Personennamen durch Kursiva aufgehoben, die Position der Anmerkungszziffern hinter die Satzzeichen verschoben. Die Doppelung der Anmerkungsziffer 5 wurde durch Verwendung der Bezeichnung 5 und 5a korrigiert. Die Doppelung der Anmerkungsziffer 8 wurde aufgehoben. Die Inhalte beziehen sich beide auf dieselbe Stelle im Text. - Der Künstler der Zeichnung ist Friedrich Wilhelm Kloß (auch: Klose).

Redaktion: Gerhild H. M. Komander 7/2004

Verweise: Alexander, C(K)aroline und Wilhelm von Humboldt, Tegel, Dorfkirchen, Schloß Tegel, Wietholzsche Chronik, Kloß, Thorwaldsen: vgl. Schadow Schinkel, Adelheid von Hedemann, Gabriele von Bülow, Frau von Heinz