Die Geschichte der Photographie in Berlin
1839 bis 1900
Von James E. Cornwall
"Man ist hier noch immer nicht genug gegen französische Windbeuteleien verwahrt", kommentierte die Vossische Zeitung vom 28. August 1839 die Erfindung der Photographie. In Paris wurde nämlich 9 Tage zuvor während einer Sitzung der Akademie der Wissenschaften, durch Francois Arago, die genaue Beschreibung der photographischen Prozesse von Nicéphore Niepce und Louis Jacques Mandé Daguerre bekanntgegeben.
Das Verfahren bestand darin, dass man eine versilberte Metallplatte Joddämpfen aussetzte und die Platte danach in einer Kamera belichtete. Im Anschluß daran wurde die belichtete Metallplatte durch Quecksilberdämpfe entwickelt. Das ergab auf der spiegelnden Platte ein positiv erscheinendes Bild (Daguerreotypie genannt).
Die Einführung der Daguerreotypie in Berlin verdanken wir dem Kunsthändler Louis Friedrich Sachse (12.7.1798-29.10.1877), Besitzer einer lithographischen Anstalt in Berlin, Jägerstraße 30. Sachse war mit Daguerre persönlich befreundet und wurde bereits im April 1839 in sein Geheimnis eingeweiht. Die Kamera, die Daguerre zur Herstellung seiner Bilder benutzte, ließ er bei der Firma Giroux & Co. in Paris bauen. Sachse traf mit dieser Firma schon im Juli 1839 ein Abkommen wegen der Einführung der ersten Daguerre'schen Apparate in Deutschland. Am 6. September erhielt Sachse aus Paris die ersten sechs Apparate zum Preis von je 465 Francs, nebst dem nötigen Zubehör von Kupferplatten, Gläsern und Chemikalien. Infolge unzureichender Verpackung brachen sämtliche Flaschen sowie die Kameras und man kann sich vorstellen, welche Wirkung die Chemikalien auf das Holz hatten. Sachse ließ die Kameras reparieren und begann endlich am 20. September 1839 mit Erfolg zu arbeiten.
Während Sachse der erste war, der in Berlin die ersten Originalkameras aus Paris einführte, kann der Berliner Optiker Carl Theodor Dörffel (1810-1878) das Verdienst für sich in Anspruch nehmen, als erster deutsche Apparate gefertigt zu haben. So stellte er bereits am 16. September 1839 einen Probeapparat in seinem Laden, Unter den Linden 46, zur Ansicht aus und nahm dort auch gleich Bestellungen entgegen. Die Silberplatten für das Verfahren lieferte Johann George Hossauer (5.10.1794-14.1.1874), der Hofgoldschmied Friedrich Wilhelms III.
Das Daguerreotypieren, welches zumeist sonntags betrieben wurde, war für die Beteiligten ein Nebengeschäft. Die anfänglichen Belichtungszeiten bei Sonnenschein betrugen immerhin 15-30 Minuten. Unsere Urgroßväter hatten daher manchmal beim Photographen folgendes gehört: "Gut so, sitzen Sie still. Ich werde die Klappe abnehmen und dann Mittag essen. Wenn ich wiederkomme, werde ich die Sitzung schließen."
Im Laufe der nächsten zwei Jahre konnte jedoch durch Entwicklung lichtstärkerer Objektive die Belichtungszeit auf 1 Minute reduziert werden. Die "kurze" Belichtungszeit erleichterte das Photographieren von Personen und ebnete somit den Weg für die Berufsphotographie.
Der erste Berliner Berufsphotograph war Johann Carl Conrad Schall (3.4.1805-2.3.1885), Sohn des Porzellanmalers Johann Friedrich Schall. Er eröffnete im Mai 1842 ein "Öffentliches Conterfei-Atelier", Zimmerstraße 41. Geworben hatte er mit folgendem Text: "Lichtbilder-Portraits mit dem Daguerreotyp in einer Minute gefertigt, werden in beliebiger Größe täglich von 9-3 Uhr gemacht".
Die Daguerreotypisten (so wurden die ersten Photographen genannt) kamen überwiegend aus artverwandten Berufen, wie z. B. Portraitmaler, Kupferstecher, Zeichenlehrer und Optiker. Aber auch "Umschüler" waren dabei, wie der Juwelier Altmann, der Tapezierer Bodinus, der Nadler Siebert und, nicht zu vergessen, der Hühneraugenoperateur Cusany. Offenbar hatte jedoch August Friedrich Cusany beim Entfernen von Hühneraugen mehr Erfolg als beim Photographieren, denn er hängte den Beruf als Daguerreotypist schon nach einem Jahr wieder an den "Nagel".
Bereits im Jahre 1846 gab es 18 photographische Ateliers in Berlin.
Bis zum Jahre 1850 blieb die Zahl der Ateliers ungefähr konstant und stieg dann aber bis 1853 sprunghaft auf eine Zahl von 46 an. Diese Tendenz setzte sich weiter fort, woraufhin man im Jahre 1860 bereits 94 Photographen in der Stadt verzeichnen konnte. Aus der "Grünen Apotheke" von Schering, Chausseestraße 21, wurden die Photographen ab 1854 mit entsprechenden Chemikalien, die sie für ihre Arbeit benötigten, versorgt.
Unabhängig von der Erfindung Daguerres war es einem Engländer gelungen, Photographien auf Papierunterlagen herzustellen. Die Möglichkeit, beliebig viele positive Abzüge herstellen zu können, schaltete in steigendem Maße die Daguerreotypie aus. Die letzten Daguerreotypien wurden um 1860 hier in Berlin angefertigt.
Bisher war die Photographie den Berufsphotographen und einigen wohlhabenden Amateuren vorbehalten. In den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts erschien dann die "Reise"-Kamera. Sie war zusammenlegbar, wesentlich leichter und eroberte sich schnell die Sympathie der Amateure, die von nun an in steigendem Maße selbst zu photographieren begannen.
Den Bedarf an Kameras, der dadurch zwangsläufig entstand, deckten in erster Linie Berliner Möbeltischler, die sich davon eine lukrative, zusätzliche Einnahmequelle versprachen. Diese Vermutung bestätigte sich dann auch, denn viele Möbeltischler fertigten nach ein paar Jahren nur noch Holzkameras. Kameratischler siedelten sich in der Reichenberger, Prinzen- und Oranienstraße an und waren bald danach auch über Berlins Grenzen hinaus für ihre präzise und solide Arbeit bekannt. Namen wie Stegemann, Heßler und Gareis waren auch nach der Jahrhundertwende dominierend auf dem Gebiet des Kamerabaus in Berlin.
Als 1854 das "Visitbild" erschien und die Preise für das kleine Format erheblich sanken, hatten die Photographen einen solchen Zustrom, dass man nur nach Anmeldung und wochenlanger Wartezeit photographiert werden konnte. Wenn auch gerade damals die Einführung der "Visitbilder", die im Dutzend gekauft werden mußten, neues Leben ins Geschäft gebracht hatte, so zeigten sich auch schon die Verfallserscheinungen der Portrait-Photographie in Form von Preisdrückereien. Diejenigen unter den Photographen, die sich Gedanken um die Zukunft machten, sahen allmählich ein, dass der drohenden Übersättigung des Publikums nur eine Hebung der Qualität helfen konnte. Dies diskutierten sie auch in Gemeinschaft Gleichgesinnter und es kristallisierte sich der Wunsch heraus, eine fachliche Interessengemeinschaft zu gründen. Am 20. November 1863 wurde der "Photographische Verein zu Berlin" von seinem Gründer Dr. Hermann Wilhelm Vogel (26.3.1834-17.12.1898) aus der Taufe gehoben.
In der Gründungssitzung des Vereins hatte Dr. Vogel unter den künftigen Aufgaben des Vereins auch die Veranstaltung photographischer Ausstellungen genannt. Dieser Punkt lag Vogel besonders am Herzen. Er erstrebte eine Ausstellung aus mehreren Gründen. Unter anderem sollte dem Publikum, das unter Photographie zumeist nur eine billige Portraitierkunst verstand, die vielseitige Leistungsfähigkeit der Photographie in Wissenschaft, Kunst und Technik gezeigt werden.
Zwei Jahre später war es dann soweit. Man kündigte Medaillen für die besten Aussteller an. Und das wirkte Wunder. Vier Wochen nach Bekanntgabe des Beschlusses war die Zahl der Aussteller schon auf fast 300 angewachsen. In der Ausstellerliste fand man alle photographischen Größen jener Zeit vertreten. Die Aussteller und die Mitglieder des Vereins hatten freien Eintritt. Um die beliebte Weitergabe der für diese Personen bestimmten Ausweise zu unterbinden, führte Vogel eine Neuheit ein: Als Ausweis diente das mit dem Ausstellungsstempel versehene Visit-Portrait des Betreffenden. Mit dieser Maßnahme hatte Vogel das photographische Bildnis als Grundlage eines Personalausweises zwar nicht erfunden, aber wohl als erster in die Praxis eingeführt.
Hermann Wilhelm Vogel, bekannt geworden durch seine zahlreichen Veröffentlichungen auf dem Gebiet der Photochemie, wurde später zum Leiter der Abteilung für Chemie an der Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg ernannt.
Doch wenden wir uns einmal der Berliner Wirtschaft in dieser Zeit zu.
Noch heute bestehen Firmen auf optischem und photographischem Sektor in Berlin, die im vorigen Jahrhundert gegründet wurden. Hierzu zählen u.a. Firma Kindermann & Co. (gegr. 1861) und Firma Schmidt & Haensch (gegr. 1864). Auch die Firma Agfa hatte ihren Beginn 1867 in Berlin.
In der Zimmerstraße 23 gründete im Jahr 1886 der damals noch unbekannte Carl Paul Goerz (21.7.1854-14.1.1923) ein Versandhaus für mathematische Instrumente. Zwei Jahre später erwarb er eine mechanische Werkstatt, um selbst photographische Apparate und Objektive herstellen zu können. Das Schleif- und Poliermaterial mußte von einem Arbeiter selbst eingekauft werden, und er erhielt zu diesem Zweck vom Mechanikermeister 8 Groschen ausgehändigt mit den Worten: "Dass Sie mir aber oben auf dem Omnibus fahren, da kostet's bloß einen Sechser!" - Für 35 Pfennig pro Stunde arbeiteten die Arbeiter 10 Stunden am Tage.
Am 29. und 30. März 1898 fand der vierte Umzug seit Bestehen der Firma statt; dieses Mal zog man nach Friedenau, Rheinstraße 45-46. An der Ortsgrenze zwischen Friedenau und Schöneberg wurde die Belegschaft von einer Musikkapelle empfangen, und so zogen, die Musik voran, die Arbeiter und Möbelwagen unter Freudenklängen die Rheinstraße hinunter zu der neuen Arbeitsstätte. Die Polizei von Friedenau hatte für dieses "Vergnügen" kein Verständnis, denn es folgte ein Strafmandat über 12 Mark wegen polizeilich nicht gemeldeten Aufzuges.
Wir lesen in "Das gewerbliche Leben im Kreise Teltow" von 1900: dass ein Teil der in Friedenau und Steglitz befindlichen optischen Anstalten früher schon in Berlin bestanden hat, dort aber nicht bleiben konnte, weil für die sorgfältige Prüfung der äußerst empfindlichen Apparate nicht die erforderliche Ruhe vorhanden war."
Aber betrachten wir die letzten zehn Jahre von der Jahrhundertwende noch einmal genauer.
Sicher werden sich viele Leser dieser Zeitschrift an das photographische Atelier Emilie Bieber in der Leipziger Straße erinnern. Das Atelier wurde ursprünglich in Hamburg gegründet. Professor Leonard Berlin, der Neffe von E. Bieber, wurde mit Vorliebe von Kaiser Wilhelm II. nach Berlin geholt, um Portraits anzufertigen. Auch im Jahre 1892 hatte der Kaiser ihn nach Berlin bestellt. Als der Photograph im Zuge saß, hörte er, dass Hamburg wegen der Cholera-Epidemie zur gesperrten Stadt erklärt worden war.
Da er also vorerst nicht nach Hamburg zurück konnte, ließ er sogleich seine Familie nachkommen und gründete in Berlin eine Filiale, die sich zunächst in der Friedrichstraße und später in der Leipziger Straße befand.
Prof. Leonard Berlin behielt die Leitung des Berliner Hauses bis zum 1. Weltkrieg, dann verkaufte er das Geschäft und zog sich ins Privatleben zurück. Er starb 1931 in Hamburg.
Erwähnen muß man noch einen Mann, der bis jetzt in Berlin fast unbekannt geblieben ist - ein Mann, dem wir zu verdanken haben, dass die Flugversuche von Otto Lilienthal im Bilde festgehalten wurden. Dr. Richard Neuhauss (17.10.1855-9.2.1915) war seit 1886 als praktischer Arzt in Berlin tätig. Als begeisterter Amateurphotograph machte er zwischen 1894 und 1896 unzählige Aufnahmen der Flugversuche Lilienthals an dem berühmten "Berg" in Lichterfelde. Einige Bilder erschienen als Serie im Postkartenformat.
Berlin kann auch stolz sein, Erfindertalente auf dem Gebiet der Photographie und Optik gehabt zu haben. Drei hervorragende Männer sollen hier vorgestellt werden. Sehr große Verdienste um den Fortschritt der Serienphotographie erwarb sich Ottomar Anschütz (16.5.1846-30.5.1907). Anschütz befaßte sich 1882 mit Einzelmomentaufnahmen und erregte 1884 großes Aufsehen mit seinen Momentbildern von fliegenden Tauben und Störchen, welche eine damals unerreichte Deutlichkeit und ansehnliche Größe besaßen.
Die optische Vereinigung dieser Serienphotographien zu "lebenden" Bewegungsbildern gelang Anschütz weitaus vollkommener und präziser als allen seinen Vorgängern durch seinen "Schnellseher". In diesem elektrischen Schnellseher" konnte er bereits viele dieser Bildserien (er hatte davon etwa 200!) vorführen. Das photographische Wochenblatt 1887 schrieb: "Anschütz' elektrischer 'Schnellseher' ist der erste Apparat, der in einwandfreier Weise eine schöne Darstellung photographisch gewonnener lebender Bilder gab, wenn auch in kleinem Maßstab, so doch für einen kleinen Kreis von Beschauern gleichzeitig sichtbar."
Aufgrund dieses Ergebnisses wurde ihm sogar von Kultusminister von Goßler ein Zuschuß zum Ausbauen seiner Apparate zugebilligt. Die Bilder wurden auf einer großen Metallscheibe angeordnet und in stetiger Bewegung an einem Guckloch vorbeigeführt. Die Firma Siemens & Halske hatte für Anschütz eine Serie von "Schnellsehern" angefertigt, die auf Ausstellungen 1891 in Deutschland, 1892 in Wien und London und 1893 auf der Weltausstellung in Chicago ein Massenpublikum anzogen.
Ebenso bedeutend für die Geschichte der Kinematographie war der Berliner Max Skladanowsky (30.4.1863-30.11.1939). Am 1. November 1895 führte Max Skladanowsky in Berlins berühmtem Varieté "Wintergarten" erstmals Filme öffentlich vor. Er benutzte hierzu den von ihm konstruierten Projektor, "Bioscop" genannt. Für diese Sensation ersten Ranges hatten Max Skladanowsky und sein Bruder Eugen 9 Filme mit Zwischentiteln gedreht. Die ersten Schauspieler dieser interessanten Erfindung der Neuzeit waren Emil und Eugen Skladanowsky. Max Skladanowsky gehörte zu den Erfindern, denen es gelang, die Kinematographie zu verwirklichen.
Der dritte der erfolgreichen Erfinder war Oskar Meßter (21.11.1866-7.12.1943). Er war der einzige der technischen Pioniere und Erfinder, der selbst noch viele Jahre lang führend auf seinem Gebiet war. Bekannt wurde er durch die Entwicklung des "Deutschen Getriebes" (Malteserkreuz genannt), einem Getriebe für Projektoren. Er war auch als Produzent ein Pionier des deutschen Films und blieb es viele Jahre lang, in denen er seine eigenen Filme herstellte.
Im Dachgeschoß des Hauses Friedrichstraße 94 a eröffnete Meßter 1896 das erste Berliner Filmatelier, das zugleich mit Kunstlicht betrieben wurde. Im Januar 1897 drehte er erstmals Filmaufnahmen vom Berliner Presseball. Gleichzeitig begann er seine ersten Filme zu drehen und, wie damals üblich, war er sein eigener Drehbuchautor, Regisseur, Kameramann, Entwickler, Kopierer und Vorführer. Auch die ersten Filmaufnahmen aus einem Freiballon drehte er 1900 selbst.
Inzwischen wurde das erste Berliner Kinotheater eröffnet. Es befand sich in einem Raum des Restaurants "Wilhelmshallen", Unter den Linden 21. Kurz danach öffnete in der Friedrichstraße ein zweites Berliner Kino unter dem Namen "Edison-Theater". Neben Filmen über aktuelle Ereignisse, wie die "Kaiser-Flottenparade von Helgoland", sah man kurze, wenn auch reichlich primitive Spielfilme. Kassenmagnet wurde "Der Raubmord am Spandauer Schiffahrtskanal bei Berlin" oder "Überfall eines Bierkutschers auf einsamer Landstraße". Aber auch Filme wie "Hochfliegende Pläne des Prof. Luftikus" begeisterten die Berliner. Titel wie "Die Hochzeitsnacht" oder "Im Separée" versprachen freilich mehr, als sie hielten.
Ob Klamauk im "Kintopp" oder der Photograph im Glasatelier - lassen wir zum Schluß Wilhelm Busch zu Worte kommen:
Wie standen ehedem die Sachen
So neckisch da in ihrem Raum,
Schwer war's, ein Bild davon zu machen,
Und selbst der Beste konnt' es kaum.
Jetzt ohne sich zu überhasten,
Stellt man die Guckmaschine fest
Und zieht die Bilder aus dem Kasten
Wie junge Spatzen aus dem Nest.
Aus: "Mitteilungen" 1/1976