Eine Pulverthurm-Explosion 1691
Von Louis Schneider

Unterm Jahre 1720 wird von dem furchtbaren Unglücke erzählt werden, welches die Hauptstadt durch das Auffliegen des alten Pulverthurmes neben der jetzigen Garnison-Kirche betroffen; ein Unglück, fast ebenso vernichtend für Menschenleben und Eigenthum, wie neuerdings die Explosion in Mainz. Es war dies aber nicht das einzige Mal, daß Berlin durch einen Pulverthurm in Schrecken gesetzt wurde. Schon 29 Jahre früher, im Jahre 1691, ebenfalls im Monat August und zwar am 31., trieb ein furchtbarer Knall Nachmittags gegen 6 Uhr alle Bewohner Berlins aus den Häusern auf die Straße. Eine starke Erschütterung der Luft war überall gefühlt worden, und da schon seit 5 Uhr, nach sengender Hitze, ein orkan-ähnliches Gewitter mit rasch auf einander folgenden Donnerschlägen über die Stadt dahin tobte, so ahnte Jedermann irgend eine Verwüstung, die das ungewöhnliche Wetter angerichtet.

Erst spät Abends erfuhr man, daß nicht in Berlin, sondern in Spandau ein schweres Unglück geschehen sei, von dem ein Augenzeuge damals die folgende „Relation“ niedergeschrieben:
„Am 31. August, umb 5 Uhr Nachmittags, zog ein großes Gewitter umb Berlin zusammen und nachdehm es sich nach Spandow nach der Festung zugewendet, auch sich eine Kurze Zeit mit Blitzen und Donnern hören lassen, fuhr endlich auf Befehl Göttlichen Gerichts ein zündender Strahl in den mit 1500 Centnern Pulver angefüllten Thurm.

Im Augenblick hub die grausame Gewaldt der entzündeten Materien den starken Thurm aus den Grund in die Höhe und sprengete denselben mit so entsetzlichem Knallen in die Lufft, daß man den Schall zu Berlin als einen Donnerschlag deutlich höhren können, die kleine Häuser, welche zu rechter Hand des Thurmes stunden, wurden gäntzlich verschüttet und blieb in der ganzen Vestung nicht ein eintzig Fenster ganz.

Alle Ziegel auf denen Dächern fiehlen herunter und was Schloßfeste war, sprang von dem grausamen Erschüttern auff. Stücke Mauer, so viele Centner schwehr, welche über 20 Mann nicht von der Stelle bringen konnten, hat es weit über 100 Schritt von der Stadt, und ein 6-, 8- und 18pfündiges Stück (Geschütz), davon das Letzte über 50 Centner wog, war in den Graben geworffen. Eine Tonne flog über die Vestung weg und wurde auff der Brücke so unbeschädiget gefunden, daß auch nicht ein Reifen abgesprungen war. So blieb auch die Schildwacht hinter den Thurm auff der Batterie gantz unversehrt, außer daß sie vor Dampff und Rauch fast ersticket währe.

Der Commandant, Obrist-Lieutenant Bölau, so krang lag, wurde von der Gewalt aus den Bette gehoben und gegen den Offen geschmissen, daß ihm die Arme ziehmlich beschädiget wurden. So wurde auch dem Capitain Nicolai das Gesichte von denen springenden Glasscheiben nicht wenig verderbet. Eine gemauerte Katze (Fortifikationswerk) ging ganz über den Hauffen, wie auch des Commandanten Stallungen, darinnen Pferde und Knechte zerschmettert wurden. Der Wachtmeister-Lieutenant ward mit Weib und Kind lebendig begraben und einem von Hamburg dahingebrachten französischen Secretario riß die Wunder-Gewalt den Daumen aus der linken Hand.

Weil auch gleich darzumahl 2 Fischer auf einen kleinen Schiffe 6 Gefangene nebst einen Unteroffizier, nach der Vestung führten, überfiel ihnen ein so dicker Steinregen, daß sie alle zusammen zerschmettert wurden. Die in der Stadt stehende Kirche, sammt dem Spinnhause, wurde wie von einem Erdbeben erschüttert und derer Todten zählte man 25 Persohnen. Gewiß ist es, daß keine feindliche Macht mit viel Tausend Bomben und Granaten und Carkassen in langer Zeit die Stadt nicht so ruiniren können, als die in einem Augenblicke durch die gewaltige Hand Gottes zerissen wurden. Denn obzwahr die Außenwerken nicht sonderlich Schaden litten, so konnte doch der innwendige Ruin mit 4 Tonnen Goldes nicht reparirt werden.“

Der unbekannte Verfasser dieser „Relation", der von Berlin aus Spandau geeilt zu sein scheint, um das Unglück selbst zu sehen, sagt auch, daß sich in Johann Heinrich Voigt's Calender ad annum 1697 die Sache in einem Anhange vollständig beschrieben findet. Es ist mir aber nicht gelungen, das genannte Buch zu Gesicht zu bekommen und mußte ich mich daher mit jener handschriftlichen Aufzeichnung begnügen.

Aus: SVGB, Heft XIV. Berlinische Nachrichten von L. Schneider. XVII. Jahrhundert, Berlin 1876, S. 104-105. Zuerst erschienen in: „Spenersche Zeitung“ vom 19. Januar 1857.

Redaktion: Gerhild H. M. Komander 7/2004