Die Entstehung des Berliner Tiergartens

Im Dezember v. J. hielt Herr Prof. Dr. O. Pniower in der Gesellschaft für Heimatkunde "Brandenburgia" einen Vortrag über den Vorgarten. Als Beitrag dazu führte der Unterzeichnete in der geselligen Zusammenkunft im Deutschen Dom am 8. Januar d. J. hinsichtlich der Anfänge unseres Tiergartens folgendes aus:
Der erste, der über seine Geschichte geschrieben hat, war Georg Wilhelm von Raumer, Historiker und Professor an der hiesigen Universität, in einer besonderen 1840 erschienenen Schrift. Er geht von einer Urkunde des Jahres 1527 aus, der zufolge die Stadt Kölln an den damaligen Kurprinzen Joachim, späteren Kurfürsten Joachim II., ein Gebiet zur Anlage eines Tiergartens abtrat unter der Bedingung der Rückgabe, wenn der Prinz den Garten wieder eingehen ließe.

Raumer nimmt an, daß das Gebiet etwa den ganzen heutigen Tiergarten umfaßt habe. Daraus ist dann allmählich die Meinung entstanden, der Tiergarten sei ursprünglich eine Schenkung der Stadt Kölln [Cölln] und also dieser zu verdanken; denn alle diejenigen, die sich nach Raumer mit der Geschichte des Tiergartens befaßt haben, sind der Ansicht des so angesehenen Gelehrten gefolgt, ohne sich nochmals um eingehende Untersuchung der Quellen zu bemühen.

Es mußte eigentlich auffallen, daß die Stadt ein so umfangreiches Gelände ohne Entschädigung hergab, zumal sie dazu gar nicht berechtigt war, da der von alters her überkommene Besitz, das patrimonium civitas nicht veräußert werden durfte. Die Rückgabe war zwar ausbedungen, ist aber tatsächlich nicht erfolgt, denn der Tiergarten gehört noch heute dem Staate. So ist denn auch Raumer mit seiner Annahme, der heutige Tiergarten sei das von Kölln [Cölln] abgetretene Gebiet, im Irrtum gewesen, er hat die Topographie nicht genügend beachtet, und bei genauerer Untersuchung stellt sich heraus, daß unser Tiergarten mit der köllnischen Schenkung gar nichts zu tun hat.

In jener Urkunde von 1527 heißt es, daß Rat und Gemeine von Kölln [Cölln] dem Kurprinzen "zur Errichtung eines Tier- und Lustgartens einen Platz dahinten bei der freien Arche" übereignen unter Bedingung der Wiederabtretung. Der Prinz versicherte außerdem, die Genehmigung seines Vaters bewirken zu wollen. Fragen wir zunächst, was verstand man damals unter einem Tiergarten und unter einem Garten überhaupt. Unter einem solchen dachte man sich in alter Zeit nicht wie heute ein für Zier- und Nutzgewächse oder Bäume bestimmtes Stück Land, sondern einen eingefriedigten Platz, ganz gleichgültig wozu er dienen sollte, das Bestimmende war die Einfriedigung.

So befand sich auf dem Werder der kurfürstliche Holzgarten zur Stapelung von Brennholz für den Hof, wovon die Holzgartenstraße ihren Namen hat. Berlin hatte einen Magistratsgarten, der auch nur diesem Zwecke diente. Die Arena, die hinter der Klosterkirche [Franziskanerkloster] für Tierkämpfe errichtet wurde (der Platz des später dort erbauten Kadettenhauses), hieß der Hetzgarten, So konnte Schiller auch sein Gedicht "Der Handschuh" beginnen: Vor seinem Löwengarten, das Kampfspiel zu erwarten, saß König Franz. Also um irgendwelche gärtnerische Anlagen oder einen Baumbestand brauchte es sich bei dem Tiergarten durchaus nicht zu handeln. Wild und wilde Tiere zu hegen war schon vom Mittelalter her auch in Deutschland eine bei Fürsten und Herren sehr verbreitete und beliebte Sitte. Es geschah sowohl in größeren Umzäunungen mit Waldbestand, aber auch in beschränkteren Räumen, in denen man Bären, Wölfe, Füchse usw. hielt, mitunter im Burgzwinger, auch in Käfigen. Exotische Tiere fanden in unseren Gegenden noch nicht Eingang, höchstens Affen. Ein solcher kleinerer Garten für gewisse Tierarten ist ohne Zweifel der Tier- und Lustgarten des Kurprinzen gewesen in Anbetracht des geringen Umfanges des abgetretenen Platzes, wie wir gleich sehen werden.

Wo lag die freie Arche des Vertrages von 1527? Auf dem Memhardtschen Plan östlich der Schleuse und heute noch geht dieser Wasserlauf östlich des Schleusengrabens unter dem roten Schlosse und dem Kaiserdenkmal hindurch. Sie kann 1527 auch an keiner anderern Stelle gelegen haben.

Der abgetretene Platz wird aber noch näher bestimmt durch einen überlieferten Aktenvermerk von 1528 (er ist ebenso wie der Vertrag von 1527 abgedruckt im Berliner Urkundenbuch) und es heißt darin: Illustrissimus princeps marchio Joachim jun. acceptavit agrum a relicta Gores Heyse (...) et ager venit ad hortum quem instruxit sua gratia, qui hortus muro adjacet urbis Collen. Danach lag also der von der Stadt hergegebene Raum zwischen der Arche und der Stadtmauer, kann also nur klein gewesen sein und reichte nicht einmal bis an die Schleuse. Man ist also zu der Annahme berechtigt, daß es sich hier in keiner Weise um das Hegen von Tieren zum Jagdvergnügen handelte.

Das Stück Land, das der Kurprinz von der Witwe Heyse erwarb, kann sich nur unmittelbar links der Stadtmauer angeschlossen und sich nicht über den Schleusengraben hinaus ausgedehnt haben. Dieser Wasserlauf mußte überhaupt das Hindernis bilden, die Anlage nach Westen hin zu erweitern, es fehlte die Verbindung mit dem jenseitigen Gelände. Über die Schleuse führte höchstens ein Steg; die Hundebrücke, die spätere Schloßbrücke, wurde erste 1573 erbaut, und es blieb vom Schlosse aus nur der Weg durch das Gertraudentor zum Besuch und zur Versorgung jenes Teils des Gartens. Daß eine Erweiterung in dieser Richtung nicht stattgefunden hat, beweisen alle späteren Nachrichten über dieses Gebiet.

Bei der Besetzung des Werders, dem nachmaligen Stadtteil Friedrichswerder, mit Häusern, bei der Entstehung der Dorotheenstadt und der Friedrichstadt erfahren wir nicht das geringste, daß hier ein Tiergarten gewesen sei. Die zahlreichen Ackergrundstücke zu den Baustellen werden stets von köllnischen Bürgern hergegeben. Wie soll man sich vorstellen, daß hier ein Tiergarten gewesen war?

Der Prinz hatte das Stück Land an der Arche nur unter Bedingung der Rückgabe erhalten, die erfolgen mußte wegen der Unverkäuflichkeit. Auch das von der Witwe Heyse dazu genommene Stück war nicht gekauft. Acceptavit steht in dem Aktenvermerk, was durchaus keinen Kauf bedeutet. Der Vermerk ist leider verstümmelt, so daß man das Rechtsgeschäft nicht klar feststellen kann. Aber alles weist darauf hin, daß es auch hier auf einen bleibenden Erwerb nicht abgesehen war.

Kurfürst Joachim I. starb 1535 und der Kurprinz kam zur Regierung. Er bekam damit auch die Verfügung über den Tiergarten seines Vaters, von dem gleich die Rede sein wird, und es ist wohl selbstverständlich, daß er dann den seinigen an der Arche eingehen ließ. Wir finden auch in keinem späteren geschichtlichen Material ein weiteres Lebenszeichen von dieser Anlage oder eine Andeutung, daß der Grund und Boden noch in kurfürstlichem Besitz sei.

Nun berichtet Raumer aber von einer Vergrößerung des prinzlichen Gartens dadurch, daß der Kurfürst 1530, also sehr bald nach der ersten Anlage, einige Äcker köllnischer Bürger bei der "kurzen Heide" hinzugekauft habe. Die Nachricht von einem solchen Kauf findet sich allerdings in den Akten, aber es heißt dort nur, daß sie zum Tiergarten erworben seien, nicht zum Tiergarten des Kurprinzen. Konnte es nicht noch einen anderen Tiergarten geben, den des Kurfürsten, da der Kauf ja auch nicht durch den Prinzen geschah, sondern durch den Kurfürsten, was Raumer außer acht gelassen hat.

Bei der hergebrachten allgemeinen Liebhaberei der Fürsten, die schon erwähnt wurde, Wild in Gehegen zu halten, war es wohl zweifellos, daß die brandenburgischen Kurfürsten schon ihre Tiergärten besaßen, also auch Joachim I. Es handelte sich also hier um den kurfürstlichen Tiergarten. Und wo lag die kurze Heide? Soweit wir aus den wenigen Überlieferungen darüber wissen, in weiter Entfernung von der Stadt, jenseits des köllnischen Ackerlandes, in der Nähe der Schöneberger Grenze. Wie sollte nun ein Teil dieses Geländes zur Erweiterung des Platzes an der Schleusenarche dienen? Es war doch nicht möglich, daß sich die dortige kurprinzliche Anlage in drei Jahren über alle Äcker und Wiesen der Bürger bis zur kurzen Heide hin ausgedehnt hatte?

Der kurfürstliche Tiergarten befand sich demnach in jener Gegend, in welchem Umfange damals, wissen wir nicht. Daß in der Nähe auch schon früher ein Tiergarten gewesen war, stellt Raumer selbst in seiner Schrift fest, indem er eine Urkunde von 1557 erwähnt, worin eine Wiese bei Lützow, "der alte Tiergarten" genannt, von ihrem Besitzer dem Kurfürsten eingeräumt wird. Der Kurfürst erweiterte damit seinen Tiergarten wieder durch ein Stück, das schon früher diesem Zweck gedient hatte.

Nach alledem dürfte es unzweifelhaft sein, daß der Tiergarten an der Schleusenarche und der Stadtmauer mit dem an der kurzen Heide keinen Zusammenhang hat, der letztere aber derjenige ist, durch dessen allmähliche Vergrößerung gegen die Stadt hin der heutige entstand. Alle weiteren Nachrichten, die Raumer in dankenswerter Weise zusammenträgt, beziehen sich auf diesen. Er erreichte namentlich unter dem Großen Kurfürsten [Friedrich Wilhelm] einen solchen Umfang, daß darin wohl auch eine Jagd abgehalten werden konnte. Für diese fernere Entwicklung wäre wohl manches aus den bisherigen Darstellungen nachzuprüfen und zu ergänzen, aber das ginge über den Zweck dieser Mitteilung hinaus.

Cl[auswitz].

Aus: "Mitteilungen" 38, 1921, S. 9-10.

Noch einmal "Der Tiergarten"

In den "Mitteilungen" Nr. 3 wird im Eingang eines vortrefflichen Aufsatzes über die Entstehung des Berliner Tiergartens von Cl[auswitz]. Eines von mir vor einiger Zeit über die Geschichte dieses Parks gehaltenen Vortrages gedacht. Es sei mir gestattet dazu zu bemerken, daß dieser Vortrag nicht, wie dort gesagt wird, in der "Brandenburgia" stattfand, auch nicht im Dezember, sondern einen Monat vorher in der "Deutschen Gesellschaft für Gartenkunst". Gleichzeitig sei mir erlaubt, darauf hinzuweisen, daß ich in ihm jene von dem Verfasser in dem Aufsatz behandelte Urkunde vom 13. Mai 1527 genau so beurteilte wie er. Gleich im Eingange meiner Ausführungen hatte ich gesagt, daß man sie vielfach so verstanden habe, als sei damals im wesentlichen der Grund und Boden des heutigen
Tiergartens in den Besitz des Markgrafen gelangt: "Das ist jedoch, fuhr ich fort, ein Irrtum. Jene Urkunde besagt nicht mehr, als daß dem Kurprinzen damals ein Platz und Raum dahinten bei der freien Arche abgetreten worden sei, um dort einen Tier- und Lustgarten zu errichten. Nun lag die Freiarche in der Nähe des kurfürstlichen Schlosses in der Gegend der heutigen Schleusenbrücke. Mit dem jetzigen Tiergarten hat also dieser Platz auf dem Werder nichts zu tun."

Man wird verstehen, daß es mich freut, in der Auffassung eines unscheinbaren und doch so wichtigen Dokumentes, wie diese Urkunde ist, mit dem so bewährten wie verehrten Erforscher und Kenner der Geschichte Berlins übereinzustimmen.

Otto Pniower

Aus: "Mitteilungen" 38, 1921, S. 16.

Anmerkung der Redaktion: Über Otto Pniower gibt Lothar Schirmers Aufsatz "Auf der Suche nach der verlorenen Identität - Otto Pniower (1859-1932)" Auskunft. In: Jahrbuch 2001 Stadtmuseum Berlin, Berlin 2002, S. 289-303. Über die Schriften von Pniower informiert das "Schriftenverzeichnis Otto Pniower" an derselben Stelle, S. 304-319.
Redaktion: Gerhild H. M. Komander 12/2003