Die Hauptstadt und die Havelstadt
Berlin und Spandau in ihren wechselseitigen Beziehungen
Von Arne Hengsbach

Die Darstellung der Beziehungen zwischen Spandau und Berlin - bzw. Berlin und Spandau - ist in dem umfangreichen Schrifttum über Spandau kaum behandelt worden. Doch sind gerade diese wechselseitigen Beziehungen, die die kleine Havelstadt und die große Hauptstadt gepflegt haben, für das Verständnis des Stadt-Umlandverhältnisses beider Städte aufschlußreich. Berlin hat mannigfache Einflüsse ausgestrahlt, auch nach Spandau, sie haben sich auch verschiedentlich deutlich bemerkbar gemacht, aber sie waren doch nicht relevant genug, um die Eigenständigkeit Spandaus aufzuheben, und dieses hat seinerseits wesentlich dazu beigetragen, daß es schließlich seine Selbständigkeit verlor und in Berlin aufgehen mußte.

Zunächst muß auf die Doppelfunktion hingewiesen werden, die Spandau seit dem 18. Jahrhundert innegehabt hat. Es hat für einen Teil des benachbarten Kreises Osthavelland zentralörtliche Funktionen ausgeübt, deren Ursprung z.T. noch aus dem Mittelalter herrührte. Das Spandauer Benediktinerinnen-Nonnenkloster besaß zahlreiche Dörfer in der näheren und weiteren Umgebung Spandaus entweder ganz, oder aber es zog Abgaben verschiedener Art aus ihnen. Nach der Reformation trat das Kurfürstliche, später das Königliche Amt Spandau an die Stelle des Klosters und wurde nun Verwaltungszentrum für die umliegenden Amtsdörfer. Das domänenfiskalische Rentamt Spandau hat noch bis 1874 Polizei- und Verwaltungsaufgaben in jenen Dörfern wahrgenommen. Auch andere staatliche Behörden mit dem Sitz in Spandau erstreckten ihren Amtsbereich auf Ortschaften des Kreises Osthavelland, wie das Königliche Kreis-, seit 1879 Amtsgericht oder das Postamt Spandau.

Die Stadtgemeinde Spandau selbst hatte im 18. Jahrhundert das Recht des Krugverlags, d.h. bestimmte Dorfkrüge im Umland sollten von Spandauer Brauern und Brennern ihr Bier und ihren Branntwein beziehen. Von erheblicher Bedeutung waren für die Stadt und ihr Umland die Spandauer Jahr- oder "Kram"- und Pferdemärkte. Riehl und Scheu schrieben 1861 in ihrer Landeskunde "Berlin und die Mark Brandenburg": "Noch jetzt fährt der kurmärkische Bauer in vollem Staat und Ornat zum Spandauer Markt und macht dort seine Einkäufe an Stoffen und Geräten fürs Jahr, wie er auch seine Pferde daselbst ein- und verkauft." Die Bedeutung der Stadt selbst lag also auf wirtschaftlichem Gebiet; die Verwaltung des Kreises Osthavelland, zu dem auch Spandau gehörte, hatte ihren Sitz in Nauen; erst 1887 schied Spandau aus dem Kreise aus und bildete einen eigenen Stadtkreis.

Die Grenzen des Spandauer Umlandes waren fließend oder schwankend, z.B. je nach den verwaltungsmäßigen Abgrenzungen, die in einem Falle mehr, im anderen Falle weniger Ortschaften erfaßten. Im 18. Jahrhundert gehörten zum Amte Spandau die Dörfer Damm, Kietz-Burgwall, Pichelsdorf, Gatow, Kladow, Seeburg, Rohrbeck, Wustermark, Falkenhagen, Hennigsdorf, Tegel und Lübars. Für das Jahr 1886 liegen genauere Angaben über die zu jener Zeit dem Spandauer Umland zuzurechnenden Dörfer vor.

In dem in jenem Jahre erschienenen Spandauer Adressbuch werden in dem Abschnitt "Boten aus der Umgegend und deren Absteigequartiere" die Handelsleute und Milchmänner aufgeführt, die regelmäßig, z.B. an den Wochenmarktstagen, nach Spandau kamen und hier Bestellungen und Besorgungen ausführten bzw. von hier Aufträge in ihre Heimatdörfer mitnahmen. Diese Männer kamen aus Dallgow, Dyrotz, Falkenhagen, Gatow, Pausin, Perwenitz, Schönwalde, Staaken und Wansdorf. Etwa bei Dyrotz-Wustermark grenzte die Spandauer Einflußsphäre an die von Nauen, während Kladow und Groß-Glienicke bereits im Schnittpunkt des Spandauer und des Potsdamer Einzugsgebietes lagen. Im Norden gehörten Teile des Glins zum Spandauer Umland, während im Osten der Bereich der Havelstadt bereits in Ruhleben und Haselhorst endete.

Da Spandau bis über die Mitte des 19. Jahrhunderts hinaus auch noch eine Ackerbürgerstadt war und viel Gärtnerei, vor allem im Stadtteil Stresow getrieben wurde, konnte der Absatz landwirtschaftlicher Produkte aus den Dörfern des Umlandes in Spandau nur einen beschränkten Umfang haben. Erst als in der zweiten Jahrhunderthälfte Spandau immer mehr zur Industrie- und Arbeiterwohnstadt wurde, kam der Belieferung der Spandauer Wochenmärkte mit ländlichen Erzeugnissen oder der Einfuhr von Milch aus den benachbarten Landgemeinden größere Bedeutung zu.

So bestanden zwischen Spandau und seinem havelländischen Umland zahlreiche Beziehungen, andererseits hatte die Stadt seit dem 18. Jahrhundert mehrfache Beziehungen zu Berlin. Maßgebend für die Entstehung und Ausbildung von Stadt-Stadt-Verhältnissen zwischen Spandau und Berlin und umgekehrt ist die Lage der Havelstadt gewesen, die nur gut 15 km von Alt-Berlin entfernt lag. Besonders auf wirtschaftlichem Gebiete machte sich die Nachbarschaft Berlins bemerkbar.

Schon in einer statistischen Zusammenstellung "Nachricht was vor Bürger und Einwohner vorhanden", die 1723 in Spandau gefertigt und am 29. Januar 1934 von der "Spandauer Zeitung" wiedergegeben wurde, finden sich Hinweise auf Beziehungen zwischen den beiden so ungleichen Nachbarstädten: Ein Bäcker schickte bereits damals sein Gebäck regelmäßig nach Berlin. Dilschmanns "Diplomatische Geschichte und Beschreibung der Stadt und Festung Spandow" (1785) bestätigt das: "Die Spandowsche Semmel hatte in vorigen Zeiten großen Abgang nach Berlin und wurde wöchentlich in Menge zum Verkauf dahin gebracht..." Ferner sagt Dilschmann: "Der größte Teil von den gefangenen Fischen und den vorzüglich wohlschmeckenden Krebsen wird den Einwohnern nach Berlin zugeführt." Auch Spandauer Bier fand nach Dilschmann in Berlin Absatz.

Im Jahre 1808 erschien ein satirischer Roman des Schriftstellers Sigismund Gottfried Dietmar, "Sirius oder die Hundspost von Spandau nach Berlin", der zeitgenössische Berliner Verhältnisse behandelte. Es kommt in ihm ein kluger Pudel vor, der einem Spandauer Milchbauern gehört, für den er anfänglich den Milchwagen von Spandau nach Berlin fährt. In diesem Romanmotiv kann durchaus ein Hinweis auf seinerzeit bestehende Verhältnisse in den Versorgungsfunktionen Spandaus für den Berliner Markt gegeben sein.

Ein Protokoll von einer Spandauer Stadtverordneten-Versammlung aus dem Jahr 1810 liegt in der gleichen Richtung: "Es ist bekannt, daß unsere Gärtner nach Potsdam und Berlin mit ihren Gartenfrüchten fahren und da zum Verkauf zugelassen werden; schlechte Ware dürfen sie dahin nicht bringen, derweil sie solche wegen der Menge, die davon zusammenkommt, nicht los werden würden." Der Spandauer Bürgermeister Roedelius beantwortete 1853 einen Fragebogen des Professors Heinrich Berghaus, den dieser zur Materialsammlung für seine "Landeskunde der Mark Brandenburg" eingesandt hatte: "Der Absatz der Produkte, namentlich Gartengewächse und Fische, ist in der nahegelegenen Residenz Berlin."

Noch in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts brachten die Spandauer Ackerbürger und Gärtner aus der Oranienburger Vorstadt, der nachmaligen Neustadt, ihr Gemüse nach Berlin, wie die "Muhme Schlei" aus der Falkenhagener Straße. Fünf Spandauer Gemüsegärtner mieteten sich damals ein Fuhrwerk, schleppten zur nachtschlafenden Zeit ihre Kiepen zum Halteplatz und fuhren dann nach Berlin zum Wochenmarkt auf dem Dönhoffplatz. Spandau hat also im 18. und 19. Jahrhundert wie die anderen ländlichen Nachbargemeinden Berlins mit zur Belieferung des hauptstädtischen Lebensmittelmarktes beigetragen. Allerdings hat Spandau nicht in der äußeren Randzone der Lebensmittellieferungen für die Hauptstadt gelegen; Molkereiprodukte kamen von noch weiter her, 1820 wurde z.B. "süße Sahnenbutter" aus Seegefeld zweimal in der Woche nach Berlin gebracht, auch die Butter des Königlichen Amtes Königshorst im Havelländischen Luch nördlich von Nauen kam an zwei Wochentagen frisch in Berlin an.

Infolge der geringen Entfernung von Berlin konnte sich andererseits in Spandau ein differenzierteres Gewerbe- und Geschäftsleben nicht voll entfalten. Schon in der oben erwähnten Statistik von 1723 beklagten sich die beiden Handschuhmacher, daß doch Berlin gar zu nahe liege und die zahlungskräftigen Käufer dort mit Vorliebe ihre Einkäufe machten. In der Gewerbetabelle des Jahres 1809 gab der Seifensieder Schildbach an, "daß die hiesigen Kaufleute ihre Waren von Berlin entnehmen". Und Dilschmann merkt 1785 an: "Wegen der Nähe der Hauptstadt des Landes ist leicht zu erachten, daß kein großer Handel hier getrieben wird."

Ganz ausführlich ist der Bürgermeister Zimmermann im Jahre 1841, als das Projekt der Berlin-Hamburger Eisenbahn in den städtischen Körperschaften diskutiert wurde, auf den Einfluß Berlins auf das Spandauer Geschäftsleben eingegangen:
"So entschieden sich nun auch die Meinung unserer Mitbürger eines Teiles für die Anlage der Eisenbahn in der Nähe der Stadt ausgesprochen hat, so sind doch auch mannigfache Stimmen dagegen aufgetreten, und es scheint nicht unbeachtenswert, die andere Meinung zu prüfen. Die Besorgnis, welche in dieser Beziehung ausgesprochen wird, bezieht sich nämlich auf den gewerblichen Verkehr; es wird behauptet, daß, ehe die Chaussee nach Berlin angelegt wurde (1822), der gewerbliche Verkehr, insbesondere der Handwerker, viel lebhafter gewesen sei, als dies jetzt der Fall ist, weil vieles aus Berlin genommen wird, was bei der früheren schwierigeren Verbindung nicht möglich war. Auch jetzt werden noch viele zurückgehalten, ihre Bedürfnisse aus Berlin zu entnehmen, weit der Zeitaufwand zu groß ist. Wird es dagegen möglich, in 1/4 Stunde nach Berlin hin, in ebensoviel Zeit zurückzugelangen, dann fürchten viele, daß noch mehr aller Bedarf aus Berlin bezogen werden wird, und so die Gewerbe völlig darniederliegen würden, ja daß, wenn es anginge, Spandow wie eine Vorstadt von Berlin aus mit Schuh und Stiefeln, Bekleidung, womöglich wenn es geht, mit Brot und Semmeln versorgt wird." Unumstößlich bliebe das Vorurteil, meinte Zimmermann, "in Berlin sei alles besser".

Derartige Befürchtungen äußerten die Spandauer Geschäftsleute auch in späteren Jahren noch, vor allem in der Vorweihnachtszeit, wenn die kaufkräftige Kundschaft in der Havelstadt es vorzog, ihre Einkäufe für das Fest in Berlin zu erledigen. So schrieb der Spandauer "Anzeiger für das Havelland" am 7. Dezember 1883: "Gerade bei der bevorstehenden Weihnachtszeit wird, wie die alljährliche Erfahrung gelehrt hat, viel Geld aus Spandau herausgetragen und gerade meistens für Artikel, welche hier ebenso gut und billig zu haben sind wie in Berlin ... daß die Auswahl nicht überall eine so große sein kann wie dort, ist klar, dafür ist aber auch die Nachfrage keine so große wie in der Residenz.

Schließlich ist es doch entschieden richtiger und gemeinnütziger gehandelt, wenn man das Geld, welches man hier verdient, so weit tunlich, auch hier läßt und nicht aus Berlin bezieht, von dessen Nähe unsere Verhältnisse überhaupt schon viel zu leiden haben." Bei der geringen Einwohnerzahl (1850 rd. 8000, 1860 rd. 11.000, 1870 rd. 15.000, 1880 rd. 25.000) und bei der wegen ihrer niedrigeren Verdienste anspruchslosen und wenig kauffreudigen Arbeiterbevölkerung konnten sich große Ladengeschäfte mit umfangreichem Sortiment natürlich nicht entfalten.

Die verhältnismäßig dünne Schicht des Spandauer Mittelstandes mit höheren Ansprüchen fuhr daher, besonders in der Adventszeit, in das benachbarte Berlin, um sich in den dortigen spezialisierten Ladengeschäften anregen zu lassen und dann ihre Besorgungen von Wäsche, Textilien, Leder- und Pelzwaren, Schmuck, Büchern, Musikalien, Spielzeug usw. zu machen. Bis weit in die achtziger Jahre hinein machte sich die Konkurrenz der großen Nachbarstadt bei Käufen von Gegenständen des gehobenen Bedarfs bemerklich.
Seit etwa 1885 änderte sich das allmählich. Es ließen sich nämlich nun in Spandau eine Anzahl jüdischer Kaufleute nieder, die in ihren Ladengeschäften für Garderobe, Wäsche, Textilien usw. eine größere Auswahl als zuvor anboten, so daß bald ein guter Teil der bisher in Berlin erworbenen Artikel nun auch am Ort gekauft werden konnte. Da Spandaus Einwohnerzahl kräftig anstieg (1890 rd. 40.000, 1900 rd. 60.000), konnten sich diese neuen und größeren Geschäfte auf eine größere Kundschaft stützen.

Diese neuen Geschäfte übertrugen die in Berlin entwickelten Geschäftstypen (Basare, Warenhäuser, spezialisierte Geschäfte für Damen- und Herrenoberbekleidung, Filialgeschäfte usw.) und Usancen (z.B. Ausverkäufe) nach Spandau. Es entstand das Vorortgeschäft, dessen Sortimente meist so umfangreich waren, daß in einer Vielzahl von Fällen - wenn nicht gerade spezielle Kaufwünsche vorlagen oder hohe Qualitätsansprüche gestellt wurden - die Einkaufsfahrten nach Berlin entfallen konnten, Diese Geschäftsformen, die neben Spandau auch das gesamte weitere Umland Berlins erfaßten, wanderten dann weiter in die Provinz hinein.

Die mittleren Schichten der Spandauer Bevölkerung waren auch diejenigen, die im Bereich der Künste Ansprüche stellten, die ihnen in Spandau nicht erfüllt werden konnten. Theatervorstellungen und Konzerte mußten in Spandau auf Gasthofs- und Tanzsäle beschränkt bleiben, und die Darbietungen der wandernden Schauspieltruppen wurden ebenso wie die Aufführungen von den Werken der Tonkunst von den "gebildeten" Kreisen wenigstens als zweitrangig empfunden. Spandau hatte aber nicht nur keine Bühnen und Konzertsäle, es besaß auch keine Büchereien, wenn man von den privaten Leihbibliotheken absieht, weshalb die Interessenten aus Spandau nach Berlin zum Besuch der dortigen Theater, Konzerthäuser, der Oper, der Museen, von Vorträgen, Spezialbuchhandlungen usw. fahren mußten.

Im Jahre 1883 gaben die Hamburger und Lehrter Eisenbahn nach Schätzungen des Kaufmännischen Vereins an Sonntagen etwa 1000, an den sechs Wochentagen zusammen 200 Fahrkarten nach Berlin aus, die zumeist von Spandauern gelöst wurden, die Theater, Konzerte usw. in Berlin aufsuchten. Ein gesellschaftliches und kulturelles Leben war nach den Feststellungen des Kaufmännischen Vereins auch kaum möglich, weil die vorhandenen besseren Lokale sich für Veranstaltungen schlecht eigneten. Das eine "war zu klein, das andere zu kalt, dieses hatte schlechte Ventilation, jenes mangelhafte Bedienung, unangenehmen Zugang, dito Garderobenlokal, unsaubere Anstandsorte, ungemütliche Nebenräume, schlechte Akustik ... schlechte Beleuchtung, alles schwere Mißstände, die sich jedem durch die Nähe Berlins verwöhnten Spandauer Einwohner fühlbar machen".

Schließlich war auch der Berliner Arbeitsmarkt, wenn auch nur in einigen Zweigen, mit Spandau locker verknüpft. Bereits 1809 stellten die Spandauer Stadtverordneten in einer Eingabe fest: "Es wohnen hier eine große Anzahl Arbeiter, Maurer, Zimmerleute, Schiffsknechte, die nur nach Spandau mit Weibern und Kindern der wohlfeilen Miete wegen zogen. Diese Leute fanden zwar Arbeit in Berlin den Sommer durch, aber im Winter nicht, da helfen sie sich durch Plünderung der Forsten, woraus sie ihren Bedarf an Holz holen und noch was mehr, um zu verkaufen; während des Krieges, da alle Bauten lagen und sie ganz arbeitslos waren, sind sie mit ihren zahlreichen Familien ganz verarmt."

Und im Jahre 1849 stellte der Spandauer Magistrat in einem Bericht über die hiesigen mißlichen Arbeitsverhältnisse fest: "...nicht viel besser steht es mit den Maurer- und Zimmerleuten, da diese sonst in Berlin ihre Arbeit suchten und fanden."
Enge Beziehungen zu Berlin hatte auch der militärische Standort Spandau mit seinen verschiedenen Truppenteilen und den zahlreichen "Königlichen Instituten", den staatlichen Rüstungsbetrieben, den Garnison- und Fortifikationsbehörden. Bei der streng hierarchisch geordneten Organisation der Einheiten des Heeres und der fiskalischen Fabriken fand ständig ein lebhafter Verkehr zwischen den vorgesetzten Dienststellen in Berlin (Kriegsdepartement bzw. Kriegsministerium, Feldzeugmeisterei, Intendanturen usw.) und den nachgeordneten Einheiten usw. in Spandau oder umgekehrt statt.

Doch Spandau tendierte nicht nur nach Berlin, Berlin seinerseits kam auch nach Spandau. Mit dem allmählichen Entstehen des städtischen Ausflugsverkehrs etwa seit der Mitte des 18. Jahrhunderts wurde das nähere Umland der Residenz in zunehmendem Maße von deren Bewohnern durchdrungen. Wohlhabendere Leute schufen sich in den Nachbardörfern Pankow oder Lichtenberg Sommersitze, und schon vor 1800 mieteten sich Berliner Familien in Charlottenburg, Tempelhof usw. "Sommerwohnungen", d.h. sie verbrachten in der noch ländlichen Umgegend Berlins die Sommermonate. Wieder andere wanderten durch die näheren Umgebungen, z.B. nach Wilmersdorf, um dort Schafsmilch und Schafskäse zu verzehren.

Die älteste Nachricht, die darauf hindeutet, daß auch Spandau Ziel Berliner Ausflügler gewesen sein könnte, scheint eine Anzeige in der "Vossischen Zeitung" vom 6. Juli 1754 zu enthalten: "Es wird zu wissen gegeben, daß mit dem gewöhnlichen Lustschiffe, des Sonntags früh um 7 Uhr, und des Mittags um 1 Uhr, nach Charlottenburg und dem Tiergarten und des Abends um 7 Uhr wieder zurück nach Berlin gefahren wird ... In den Wochentagen können Liebhaber dieses Schiff mietweise nach Spandau, Cöpenick, Charlottenburg, Stralau ... haben."

Man darf eine derart vereinzelte Andeutung allerdings nicht überschätzen und nun womöglich auf häufigere "Lustfahrten" von Berlin nach Spandau schließen, das Inserat weist lediglich auf die verkehrsmäßigen Möglichkeiten für einen Besuch Berliner in Spandau hin. Über das Bestehen eines Verkehrs von Spandau nach Berlin mit dem Schiff liegen übrigens einige bruchstückhafte Andeutungen vor, die die Zusammenhänge aber keineswegs erhellen. Im Jahre 1798 schrieb das Amt Spandau die Verpachtung der "Kahnfahrt von Spandau bis Berlin und von da zurück" aus, und auch die in der Schulze'schen Chronik von Spandau mitgeteilten Etats des Amtes Spandau für 1739/40 und 1747/48 enthalten unter den Pachten jeweils 25 Taler für die "Kahnfahrt".

Ausführlich sind dagegen die Schilderungen im "Jahrbuch der Preußischen Monarchie", Jahrgang 1799 (wieder abgedruckt in den "Berlinischen Blättern für Geschichte und Heimatkunde", Jahrgang 1936, S. 100 ff.), die sich mit dem Treiben der Berliner Erholungssuchenden auf dem "Pichelsdorfer Werder", dem Pichelswerder befassen.

Seit dieser Zeit weisen Stadtbeschreibungen und Führer immer wieder auf diese Erholungslandschaft an der Unterhavel hin. Von Pichelsdorf und dem "Pichelsdorfschen Werder, im Havelländischen Kreise, bei Spandau" sagt Johann Christian Gädicke in seinem 1806 erschienenen "Lexicon von Berlin und der umliegenden Gegend": "Diese Gegend wird stark zum Vergnügen benutzt und für die schönste um Berlin gehalten." Ähnlich Helling's "Taschenbuch von Berlin..." von 1830 über Pichelsberg, Pichelsdorf und Pichelswerder: "Wegen der romantischen Lage des Berges, Dorfes und Werders oft Zielpunkt von Lustpartien." Auch der Turnvater Jahn war 1818 mit seiner Gefolgschaft hierher gezogen, dabei ertrank einer seiner Schutzbefohlenen im Stößensee, was dem exaltierten Mann sehr peinlich war.

Seit 1840 rückt dann auch die Uferlandschaft der Oberhavel, nördlich von Spandau, in den Gesichtskreis der Berliner Ausflügler. Bei Saatwinkel, ganz abseits noch und von der Jungfernheide umschlossen, entstehen in dieser Zeit zwei Ausflugslokale, die trotz ihrer unerschlossenen Lage bei den Berlinern bald an Beliebtheit gewinnen. Den ersten Hinweis auf dieses neue Ausflugsziel findet sich schon in Alexander Cosmars "Neuestem Wegweiser durch Berlin" von 1840, wo erwähnt wird: "Saatwinkel, ein Vergnügungsort hinter Charlottenburg", wobei "Vergnügungsort" im Sprachgebrauch der Zeit als "Ausflugsort" zu verstehen ist.
Mit dem Aufkommen der Torwagenfahrten von Berlin bzw. Charlottenburg nach Spandau seit den späten 20er Jahren des 19. Jahrhunderts wurde der Besuch Spandaus und seiner Umgebungen bereits etwas erleichtert; noch bequemer wurde das Aufsuchen der Erholungsorte und -gebiete bei Spandau an der Ober- und Unterhavel bald nach Inbetriebnahme der Berlin-Hamburger Eisenbahn im Jahre 1846.

Seit 1848 verkehrten nämlich allsonntäglich in der warmen Jahreszeit "Extrazüge" von Berlin nach Spandau, seit 1850 auch zu verbilligten Fahrpreisen, und 1851 wurden diese Züge bis Finkenkrug und Nauen weitergeführt. Da es zwischen Berlin und Spandau keine Zwischenstationen gab, waren die Berliner Wanderer tatsächlich binnen einer Viertelstunde in Spandau, von wo aus sie ihre Ausflugsziele an der Havel nach einem Fußweg von einer guten Stunde erreichen konnten, wenn sie es nicht vorzogen, sich in der Gondel oder im Kahn zu den gewünschten Orten rudern zu lassen. Am Westufer der Havel drangen die Berliner allerdings nicht weiter nach Süden vor. Gatow und Kladow blieben bis gegen Ende des Jahrhunderts noch außerhalb des Gesichtskreises der Hauptstädter.

Eine Wanderung von Berlin nach Spandau, etwa im Jahre 1820, schildert Karl Gutzkow in seinem Erinnerungsbuch "Aus der Knabenzeit" sehr anschaulich und ausführlich. Das literarisch wertvolle Zeugnis kann jedoch nicht als Beleg für einen stärker ausgeprägten, von Berlin nach Spandau gerichteten Besucherverkehr gelten. Dafür gibt es andere Quellen. Sie betreffen die schon erwähnten Spandauer Jahr- und Pferdemärkte, die in stärkerem Maße von den Berlinern besucht wurden. Die ersten Hinweise auf diesen Markt finden wir in der "Vossischen Zeitung" vom Jahre 1820.

Der englische Dampfschiffbauer und Reeder John Barnett Humphreys hatte im Sommer dieses Jahres einen ziemlich regelmäßigen Ausflugsverkehr mit seinem Dampfschiff "Courier" zwischen Berlin (Zelten) und Charlottenburg bzw. Potsdam betrieben. Für den 22. August zeigte er eine Fahrt nach Spandau an, die 7 Uhr früh begann mit dem ausdrücklichen Bemerken: "Nach Spandau zum dortigen Markt." Die Rückfahrt nach Berlin war auf 17 Uhr festgesetzt worden. Fast zur gleichen Zeit machte ein Kaffeehauswirt vom Gesundbrunnen in der Zeitung bekannt, daß er sein Konzert "des Spandauer Marktes wegen" auf einen anderen Tag verlegt habe.

Der Spandauer Polizei-Bürgermeister Lauße klagte im Jahre 1828: "Die Unordnung und der Lärm mit den Charlottenburger und Berliner Personen Wagens ist nicht mehr an den Jahrmarkttagen zu ertragen und bedarf einer Abhülfe, wenn kein Unglück eintreten soll." Aus dem Jahre 1830 stammt eine Stellungnahme des Spandauer Magistrats: "Der hier statthabende Jahrmarktsverkehr erfordert wegen des durch die Nähe Berlins entstehenden außerordentlichen Zusammenflusses von Menschen aller Klassen eine gesteigerte polizeiliche Wachsamkeit."

Helling vermerkt 1830 in seinem "Taschenbuch" von den Spandauer Jahrmärkten: "Diese Märkte werden stark von Berlinern besucht, es ist aber ein merkwürdiges Zusammentreffen, daß es in der Regel an den Tagen, wo in Spandau Markt ist, hier regnet." Der "vergnügte Weinhändler" Louis Drucker, Berliner Gastwirt und Spaßmacher, weilte 1840 während einiger Pferdemarkttage auch in Spandau, um dort seine Albernheiten abzuziehen, wie aus seinen Inseraten in der "Vossischen Zeitung" hervorgeht. Neben den Märkten scheinen auch die Spandauer Schützenfeste die Berliner angezogen zu haben.

Wie auch in anderen Städten hatten die "Gewerbetreibenden" die Möglichkeit, auf dem Schützenplatz mit "Verkaufs-Gegenständen" zu handeln, nur "Roulett-, Schum- und Toiletten-Spiele" schloß die Schützengilde 1850 ausdrücklich aus, wie auch der Spandauer Magistrat das Würfelspiel auf den Jahrmärkten schon früher nicht geduldet hatte.

Noch eines weiteren Besucherstromes, der von Berlin nach Spandau ging, muß in diesem Zusammenhange gedacht werden. In den Jahren von 1817 bis 1874 pilgerten die Berliner Katholiken alljährlich an dem jeweiligen Sonntag nach Fronleichnam von Berlin, später von Moabit aus, durch die Jungfernheide nach Spandau, anfänglich zu dem kleinen katholischen Gotteshaus auf dem "Gewehrplan" in der Nähe des heutigen Zitadellenweges, seit 1849, als die katholische Kirche am Behnitz fertiggestellt war, in die Stadt selbst, um hier am Kolk und Behnitz ihre Prozession abzuhalten.

Bereits in den zwanziger Jahren sollen mehr als tausend Gläubige von Berlin nach Spandau gezogen sein, und in den vierziger Jahren hat die Zahl der Katholiken Berlins, die sich an dieser Wallfahrt nach Spandau beteiligten, bereits 2000 bis 3000 betragen. Als die Bevölkerung Berlins seit den fünfziger Jahren immer schneller und stärker anstieg, nahm auch die Zahl der Zuwanderer katholischen Glaubens, vor allem aus den östlichen Provinzen Posen und Schlesien zu, und damit erhöhte sich auch die Zahl derjenigen, die an dem Fronleichnamszug nach Spandau teilnahmen. Meist fielen nun Schützenfest und Fronleichnamsfeier zeitlich zusammen, so daß einige tausend Berliner in der engen Havelstadt zusammenströmten.

Zeugnis für die Stärke dieses nach Spandau gerichteten Verkehrs geben die Anzeigen der Eisenbahnverwaltungen. Am 25. Mai 1864 teilte die Berlin-Hamburger Eisenbahn in der "Vossischen Zeitung" mit: "Am Sonntag, den 29. d.M. werden wir in Veranlassung des Fronleichnamsfestes und des in Spandau stattfindenden Schützenfestes außer dem gewöhnlichen Extrazuge nach Spandau, Finkenkrug und Nauen noch einen Extrazug von Berlin nach Spandau und einen solchen von Spandau nach Berlin zurück zu den tarifmäßigen Fahrpreisen abfertigen. Abgang des Extrazuges von Berlin Morgens 7 Uhr, Abgang des Extrazuges von Spandau Abends 11 Uhr."

Auch im Jahre 1869 setzte wiederum "in Veranlassung des Fronleichnamsfestes und des hiesigen Schützenfestes" die Hamburger Eisenbahn einen Personenzug von Berlin nach Spandau ein. Die Rückfahrt nach Berlin konnte diesmal von 8 Uhr abends ab "mit den in Zwischenräumen von 1/2 bis 3/4 Stunden von hier abzulassenden Extrazügen geschehen. Der letzte Extrazug geht von Spandau um 11 Uhr abends ab." In diesem Jahre soll der Schützenplatz einen Besuch von ca. 10.000 bis 12.000 "Fremden" aufgewiesen haben. Die Fronleichnamsprozession fand am gleichen Tag "unter Teilnahme von Tausenden hierselbst in größter Ordnung statt." Bei dieser Wallfahrt ließ ein "gewisser Schubrink" von Berlin aus eine seiner fahrbaren Trinkhallen dem Fronleichnamszuge folgen.
Im folgenden Jahre, 1870, hatten, wie der Spandauer "Anzeiger für das Havelland" meldete, die Fronleichnamsprozession und das Schützenfest "gewiß über 10.000 Menschen von Berlin hierher geführt". Noch stärker scheint der Besuch Spandaus im Jahre 1872 gewesen zu sein. Der "Anzeiger" schrieb am 4. Juni: "Der Andrang der Berliner am Sonntag in Folge des Schützenfestes resp. der Berliner Fronleichnamsprozession (ungleich prunkvoller und zahlreicher als die vorigen Jahre) nach hier war ein so großer, wie er seit Jahren nicht dagewesen ist. Auf der Hamburger Bahn wurden allein 14.500 Personen nach Berlin zurückbefördert ... 19 Extrazüge beförderten die Menschenmenge nach hier und bis spät in die Nacht nach Berlin zurück. Auch auf der Lehrter Eisenbahn wurden Extrazüge abgelassen."

Doch sollten diese großen Wallfahrten der Berliner Katholiken nach Spandau ein jähes Ende finden. Der "Anzeiger" brachte am 21. Mai 1875 folgende Notiz: "Die seit mehreren Jahren am Fronleichnamstage von der katholischen Geistlichkeit angeordnete Prozession von Moabit über Charlottenburg nach Spandau wird in diesem Jahre polizeilich nicht geduldet werden ... Inmitten einer protestantischen Bevölkerung, welche ohnehin durch die Ultramontanen in Aufregung gebracht ist, empfiehlt es sich nicht, auf öffentlichen Straßen ein neues Reizmittel zuzulassen..." Diese Maßnahme muß aus der Stimmung des damals ausgetragenen Kulturkampfes heraus verstanden werden.

Das Spandauer Blatt kommentierte diese Meldung: "In geschäftlicher Beziehung wird diese Maßnahme für Spandau allerdings schädigend wirken." Ein Jahr später, am 20. Juni 1876, bemerkte die Zeitung wehmütig: "Der Ausfall der Fronleichnams-Prozession von Berlin, welche in früheren Jahren einen ganz riesigen Besuch unseres Schützenplatzes mit sich brachte, hat am Sonntag eine ganz bedeutende Abnahme desselben zur Folge gehabt und dürfte die Zahl der von hier anwesend Gewesenen kaum auf 1000 sich beziffern, während früher oft 10-12.000 allein mit der Eisenbahn herangeschafft wurden.

Den Schank- und Gastwirten in der Stadt ist hierdurch eine nicht unerhebliche Mindereinnahme geworden, und wird der Ausfall des auswärtigen Besuches für die Folge auch nicht ohne Rückwirkung auf den Gewerbebetrieb auf dem Schützenplatz bleiben." Ein Jahr später sah die Sache schon wieder anders aus. Die Zeitung meinte am 5. Juni 1877: "Daß trotz der Aufhebung der Fronleichnanis-Prozession der hiesige Schützenplatz seine Anziehungskraft für einen Teil der Bewohner der Residenz Berlin nicht verloren hat, bewies der zahlreiche Besuch desselben von außerhalb am Sonntage, und es will uns bedünken, daß gedachte Aufhebung nur das Fehlen einer nicht unbeträchtlichen Menge rohen Gesindels zur Folge hat, welches, der Prozession folgend, schon im Zustande sinnloser Betrunkenheit hier ankam und zu Widerwärtigkeiten und Exzessen Veranlassung gab."

Die Besuche, die die Berliner in Spandau machten, gleich ob sie dem Jahrmarktstreiben, dem Rummel des Schützenplatzes, den kirchlichen Feiern oder den Erholungslandschaften bei Spandau galten, hatten allerdings keine weitergehenden Wirkungen; die Ausflügler oder Wallfahrer, die in den Vormittagsstunden in der Havelstadt eingetroffen waren, verließen sie am Abend wieder, um nach Berlin zurückzukehren. Spandau war zwar in den Gesichtskreis der Berliner getreten, aber es blieb doch nur einer der vielen Orte des näheren oder weiteren Berliner Umlandes, die aus verschiedenen Gründen, in erster Linie aber zu Zwecken der Erholung und Zerstreuung aufgesucht wurden.

Von Berlin gingen aber nicht nur die Ströme seiner Bewohner in das Umland aus, es wurden seit der zweiten Hälfte der sechziger Jahre auch neue Geschäftszweige und -formen in Berlin entwickelt, die alsbald weite Teile der näheren und weiteren Umgebung der Stadt erfassen sollten. Es kam nämlich die Terrainspekulation im Großen auf, überall erwarben unternehmenslustige und risikofreudige Geschäftsmänner ländliche Fluren von den Bauern mit dem Ziele, sie zu "kolonisieren", d.h. in gewinnträchtiges Bauland für Landhauskolonien umzuwandeln.
Dieses spekulative Großgrundstücksgeschäft, das 1863 einsetzte und bis etwa 1874 in kräftigem Schwange war, erlebte nach dem siegreichen Abschluß des deutsch-französischen Krieges 1871 seine Blütezeit; zahlreiche Aktiengesellschaften wurden zur Durchführung der nicht immer ausgereiften Projekte ins Leben gerufen, deren Geschäftsgebaren und -führung nicht in allen Fällen einwandfrei war. In dieser "Gründerzeit" waren die Unternehmer in jedem Fall bestrebt, ihre billig erworbenen Roggen- und Kartoffelfelder zu erschließen und dann die Bauparzellen ertragreich an baulustige Interessenten veräußern zu können. Bei ihren Grundstückskäufen sprangen die "Gründer" und ihre Gesellschaften kreuz und quer im Umland umher; die von ihnen geplanten und vielfach auch begonnenen - z.T. nach englischen Vorbildern konzipierten - Villenkolonien lagen punktförmig im weiteren Umlande verstreut, während die stadtnahe gelegenen Terrains im Bereich des Hobrechtschen Bebauungsplanes zu Mietskasernenparzellen ausgeschlachtet wurden.

Städtebauliche Erwägungen blieben bei diesen Grundstücks- und Baugeschäften außer acht, man beschränkte sich auf die Herstellung und Bepflanzung der notwendigen Erschließungsstraßen innerhalb des eigenen Bauterrains, aber der so wichtigen Frage der verkehrlichen Erschließung der geplanten Ansiedlungen, von der ja die gewinnbringende Verwertung der Grundstücke in hohem Grade abhängig war, wandte man vielfach nur ein flüchtiges Interesse zu. Man vertröstete die Erwerber von Bauparzellen häufig auf angeblich geplante Straßenbauten und Pferdebahnstrecken. Daß bei unzulänglicher Erschließung die neuen Gründungen dann lange Zeit in Kümmerformen dahinleben mußten, vermochten die Gründer entweder noch nicht zu übersehen oder sie interessierte das nicht weiter. So erstreckte sich die Berliner Bodenspekulation nach Westend (1866), Nordend (1872), Südende (1872), Ostend (1871) und noch darüber hinaus bis Hirschgarten (1871), Lichterfelde (1867), Wannsee (1863) usw. Die Wogen, die diese Terraingeschäfte erzeugten, schwappten auch in Richtung Spandau, soweit dort die Voraussetzungen gegeben waren.

Spandau nahm eine Sonderstellung ein. Die verfügbaren Terrains um den Stadtkern herum mochten die geschäftstüchtigen Gründer nicht erfassen. Spandau war nämlich Festungsstadt und das vor den Befestigungsanlagen gelegene Gelände in Rayons eingeteilt, Zonen von 600 bzw. 375 m Tiefe. Im ersten Rayon durften, wenn überhaupt, nur ganz leichte und kleine Holzbuden oder -hütten, im zweiten in ihrem Umfange beschränkte Fachwerkbauten aufgeführt werden. In jedem Falle hatte sich der Eigentümer durch "Revers", der ins Grundbuch eingetragen wurde, zu verpflichten, seine Baulichkeiten auf Verlangen der Kommendantur zu beseitigen. Mit diesen Vorschriften sollte gewährleistet werden, daß die Verteidiger der Festung im Ernstfall von den Festungswerken aus freies Schußfeld hatten und dem herannahenden Feind auf dem "rasierten", d.h. von Bauten und Aufwuchs freigelegten Gelände jegliche Deckungsmöglichkeit genommen war.

Die Lage Spandaus bot auch insofern noch eine Besonderheit, als sie an ihrer Berlin zugekehrten Ostflanke vom Eiswerder bis zum Stresow durch einen über 500 bis zu 1000 m breiten Gürtel von militärfiskalischen Rüstungsfabriken umgeben war. Diese schornsteinstarrende Industrielandschaft, deren Betreten natürlich verboten war, wirkte zusätzlich wie ein Riegel nach Osten hin.

Aber trotz dieser Erschwernisse betätigten sich auch bei Spandau die Berliner Gründer. Sie bemächtigten sich derjenigen Flächen im Osten der Stadt, die von den militärischen Belangen nicht berührt worden waren. Die ersten Vorbereitungen für eine spätere Grundstücksspekulation wurden in Haselhorst schon zeitig getroffen. Bereits im Jahre 1865 wurden die umfangreichen Trennstücke Gartenfeld und Sternfeld vom Rittergut Haselhorst abgeschrieben in der Absicht, diese Teilflächen zu parzellieren und als merkantiles Bauland zu verwerten.

Tatsächlich wurden die neugebildeten Grundstücke Sternfeld und Gartenfeld 1872 an "Gründer" veräußert, die auch hier in völlig unerschlossenem Gebiet die Anlage von Villenkolonien planten. Während in Gartenfeld außer den Projektzeichnungen nichts entstand, wurden in Sternfeld immerhin einige Ansätze für eine Grundstücksverwertung erreicht. Zwar blieb auch hier die von der Eigentümerin, der "Zentralbank für Bauten" vorgesehene Landhausansiedlung im Spreetal, schräg gegenüber von der verwirklichten Villenkolonie Westend, auf dem Papier stehen, aber ein großes Dampfsägewerk wurde 1874 von ihr in Sternfeld an der Spree errichtet; es mußte allerdings schon nach anderthalb Jahren wieder stillgelegt werden, weil es unwirtschaftlich war und in der Zeit der Flaute, die der Euphorie der Gründerjahre folgte, die "Zentralbank" mit ihren ohnehin unübersichtlichen Finanzierungskünsten immer mehr in wirtschaftliche Schwierigkeiten geriet.

Erfolgreicher war der Berliner Unternehmer Haberkern, der 1875 die Insel Valentinswerder zu einer Art Villensiedlung gestaltete. Diese Insel, die in dem freien Winkel zwischen den militärischen Sperrzonen des Schießplatzes Tegel und der Festung Spandau lag, war völlig unerschlossen. Haberkern richtete daher eine Fahrgastschiffahrt zwischen Spandau und Tegel mit eigenen Dampfern ein, die natürlich in jedem Falle seine Schöpfung Valentinswerder berührten und deren Besuch ermöglichten. Schließlich erbaute sich der Berliner Julius Busse um 1873 eine große Villa am Pichelssee und im benachbarten Pichelsdorf 1875 eine Brauerei, die er aber bald wieder aufgeben mußte.

Die Berliner Terrainspekulation war also bis vor die Festungswälle Spandaus vorgestoßen, überall dahin, wo geschäftlich verwertbares Land außerhalb der militärischen Einschränkungen zur Verfügung stand. Daß diese Bestrebungen meist in den Anfangsstadien stecken blieben, lag nicht nur an den topographischen Schwierigkeiten, sondern auch an den ungenügenden oder undurchsichtigen Finanzierungen der Gründer, die - mit Ausnahme von Haberkern - ihre Grundstücke in der "Subhastation" (der Zwangsversteigerung) wieder verloren. Hätte eine solidere Gesellschaft - und auch solche gab es in der Gründerzeit - die verkehrliche Erschließung jenes Niemandslandes zwischen Spandau und Charlottenburg energisch in die Hände genommen, wären voraussichtlich im Osten der Havelstadt Siedlungsgebilde entstanden, die die wirtschaftliche und städtebauliche Integrierung Spandaus in den Berliner Einflußbereich schon vor einem Jahrhundert eingeleitet hätten.

Sichtbarer als jene Spuren der meist erfolglos gebliebenen spekulativen Terraingeschäfte waren die Einflüsse Berlins im Bauwesen. Bis weit in die achtziger Jahre hinein hatte die Physiognomie Spandaus durchaus der anderer märkischer Mittelstädte wie etwa der Rathenows, Eberswaldes, Fürstenwaldes oder der von Nowawes geglichen. Die zweigeschossigen Ackerbürger- und Handwerkerhäuser in der Altstadt aus dem 17. und 18. Jahrhundert wurden zwar nach 1850 häufiger durch Neubauten ersetzt, doch diese blieben zwei- oder dreigeschossige Gebäude, die bei den beschränkten Grundstücksflächen meist nur in bescheidenen Ausmaßen errichtet werden konnten.

Die Neubauten hier wie in den anderen märkischen Städten waren in ihrer Architektur dem klassizistischen Formenschatz verpflichtet: Kranz- und Gurtgesimse in sparsamen Abmessungen; die Fassaden waren meist mit geraden Fensterverdachungen und hin und wieder mit Putzfugung versehen. Die Arbeiterwohnhäuser in den Vorstädten waren - sofern sie nicht überhaupt den Rayonvorschriften entsprechend als zweigeschossige Fachwerkbauten mit flach geneigtem Dach erbaut werden mußten - bis um 1870 den zweigeschossigen Ackerbürgerhäusern oder gar den eingeschossigen Wohngebäuden der vorstädtischen Gehöfte nachgebildet, häufig mit großen Dachgauben.

Erst als in den siebziger Jahren zahlreiche Mietshäuser entstanden, wurden die Berliner Bauformen übernommen; so erhielten um 1874 zwei kleine Eckhäuser an der Jordanstraße die damals in Berlin bei Mietshäusern an Straßenecken so typischen turmartigen Aufsätze. In der Altstadt begannen die Häuser seit dieser Zeit in die Höhe zu wachsen, die ersten viergeschossigen Gebäude entstanden.

Als dann seit Mitte der achtziger Jahre in der Neustadt die ersten größeren zusammenhängenden Wohnquartiere entstanden, etwa an der Feld- und Groenerstraße oder zwischen der Schönwalder und Neuendorfer Straße längs der Lynar-, Luther- oder Neumeisterstraße usw., hielten die vier- und fünfgeschossigen Berliner Mietskasernen in Spandau Einzug mit ihren Seiten- und Ouerflügeln und Nebengebäuden auf den engen Höfen. Die Übertragung der Berliner Mietskaserne mit all ihren auch schon damals erkannten unsozialen und schädlichen Auswirkungen auf die Spandauer Verhältnisse konnte um so leichter erfolgen, als die in Spandau gültige Bauordnung von 1872 für das platte Land keine Handhabe bot, diese Entwicklung zu steuern. Die Überlagerung der alten eigenständigen Bauformen ging dann schnell voran.

So war Spandau ausgangs des 19. Jahrhunderts eine Stadt, in der sich die Einflüsse der nahen großen Residenz in verschiedener Weise manifestieren, in den Ladengeschäften, in der Bauart der Häuser oder auch in den großstädtischen Ansprüchen entsprechenden Ausflugslokalen. Aber trotz derartiger adaptierter Formen bewahrte Spandau durchaus sein Eigenleben, es war trotz aller Ansätze und Verknüpfungen noch kein Vorort. Der Entwicklungsgang von der märkischen Provinzstadt zum Berliner Vorort, der kurz vor 1900 begann, soll in einem weiteren Aufsatz nachgezeichnet werden.

Aus: "Mitteilungen"1/1978