Kampf um die Theaterfreiheit

Gerhart Hauptmanns "Weber" vor dem Verwaltungsgericht, 1892
Von Gerhard Kutzsch

Die Freiheit der Meinungsäußerung gewährleistete in der preußischen Verfassung von 1850 der Artikel 27. Auch verbot er die Einführung einer Zensur und zielte damit auf die Stabilisierung endlich gewonnener Pressefreiheit.

Um die Freiheit des Theaters war es weniger gut bestellt: zwar war im September 1848 auch dessen Zensur in Preußen aufgehoben worden, aber schon am 10.. Juli 1851 führte eine Verordnung des Polizeipräsidiums die Theaterzensur für die Hauptstadt wieder ein. Sie blieb bis zum Ende der Monarchie ein Ärgernis für Autoren und Bühnenleiter und hat, in den Zeiten der aufstrebenden Sozialdemokratie oft genug als Politikum betrachtet und gehandhabt, die Verwaltungsgerichte immer wieder beschäftigt. Der Naturalismus der neunzig er Jahre wurde von weiten Kreisen der bürgerlichen Bildungsschicht als künstlerischer Ausdruck revolutionären sozialdemokratischen Geistes angesehen.Mit diesem Odium behaftet, verfielen auch Hauptmanns "Weber", deren Aufführung vom Direktor des Deutschen Theaters, Adolph l'Arronge, Anfang 1892 beantragt worden war, der Ablehnung. Geringfügig gekürzt wurde das Stück ein Jahr später wieder vorgelegt, das Aufführungsverbot jedoch erneuert. Gerhart Hauptmann ließ daraufhin eine Klage vor dem Bezirksausschuss (Verwaltungsgericht) anstrengen. Er berief sich auf den Verfassungsartikel 27 und bestritt die "ordnungspolizeilichen Bedenken", die der Polizeipräsident, gestützt auf die Verordnung von 1851, geltend machte. Der Weber-Aufstand von 1844 sei ein historischer Vorgang analog dem Bauernkriege im "Götz von Berlichingen" oder den römischen Gracchen-Unruhen, die auch trotz mancher Ähnlichkeit mit den sozialen Bewegungen der Gegenwart kein polizeiliches Verbot auf die Bühne zu bringen hindere. Der Vertreter der Behörde hielt demgegenüber für wesentlich, "ob das Publikum die zur Rechtfertigung des Aufruhrs geschilderten Verhältnisse mit den gegenwärtigen Zeitverhältnissen in Beziehung bringen werde".

Die Staats-und Gesellschaftsordnung der vierziger Jahre - heute noch vorhanden - sei im Drama Hauptmanns als des Bestehens unwert geschildert. Aus sozialdemokratischer Agitation heraus sei die Überzeugung erwachsen, dass die Herrschaft der kapitalistischen Gesellschaftsordnung mit der Ausbeutung der arbeitenden Klassen verbunden sei. Ein Teil der Theaterbesucher werde unter dem Eindruck der Bühnenhandlung in seiner Neigung zu gewalttätiger Auflehnung bestärkt. Hauptmanns Anwalt verwies nun auf die Darstellung der Situation der Weber in A. Zimmermanns Buch "Blüte und Verfall des Leinengewerbes in Schlesien" (Breslau 1885).

Das Bühnenwerk spitze nicht tendenziös zu, es siege darin sogar der Ordnungsgedanke. Sozialismus und sozialdemokratische Bewegung richteten sich gegen die wirtschaftliche Ordnung überhaupt, die Weber kämpften nur um höhere Löhne. Das Gericht hielt es für belanglos, wieweit sich der Dichter an das geschichtliche Material gehalten habe, zu beanstanden sei, wie der Aufstand der Handweber im Eulengebirge verwertet wurde. Hunger und größte Armut male das Stück in grellsten Farben, unerträgliches Elend wurzele in der gewissenlosen Habsucht der reichen Arbeitgeber, die "im Fette waten". Hinzu trete der Hohn, mit dem die zu stumpfer Duldung degradierten Weber traktiert und um den Bettellohn betrogen würden. Selbst der Ortsgeistliche habe kein Verständnis für die Unglücklichen, allenfalls ein junger, unreifer Kandidat der Theologie. In schroffem Gegensatz zu den "in Wahrung berechtigter Interessen handelnden und von verzagten zu mutvollen Menschen sich entwickelnden Webern" stünden die kläglichen Träger der öffentlichen Gewalt. Der Gendarm sei moralisch defekt und feige, der Landrat ein "nicht Achtung einflößendes, sondern Mitleid erregendes Zerrbild". Das Auftreten des Militärs sei wenig ruhmvoll, die Ordnung unterliege, die Besitzlosen nähmen Rache an ihren Bedrückern. Gewalttätigkeiten seien als Heilmittel gegen die Nöte des Lebens hingestellt. "Wenn Kläger behauptet, mit seinen Sympathien auf der Seite des alten, frommen Hilse zu stehen, so hat er diese Sympathien nicht zum Ausdruck gebracht, und es kann mit ihnen nicht gerechnet werden."

Da in Berlin - so begründet das Gericht abschließend - die Zahl der Arbeitslosen mit jedem Jahr zunehme und hier außerdem zahlI1eiche notorische Sozialdemokraten und mit ihrem Schicksal zerfallene Menschen leben, könne eine Aufführung der "Weber" im Deutschen Theater oder auf anderer öffentlicher Bühne deren Empfindungen aufregen und die Ordnung gefährden. Das Kostüm der Darsteller sei unerheblich - passe es zur Rolle, pflege der Zuschauer über dem Inhalt die Gewandung zu vergessen. Die Klage wurde abgewiesen, der Dichter legte Berufung beim Oberverwaltungsgericht ein.Dieses erklärte in Anlehnung an ältere Entscheidungen das angefochtene polizeiliche Verbot für vereinbar mit dem Verfassungsartikel 27, der allein von Pressefreiheit, aber nicht vom Theater spreche.

Auch wenn nur rein künstlerische Zwecke verfolgt würden,müsse die Vorführung wahrer Ereignisse auf der Bühne nicht stets gestattet sein, wie Hauptmann meine. Immerhin habe der Bezirksausschuss zwei wesentliche Punkte nicht ausreichend gewürdigt. Die "entfernte Möglichkeit" einer Störung der öffentlichen Ordnung. durch ein aufzuführendes Stück genüge nicht, um die Erlaubnis zu versagen, hierzu sei eine wirklich drohende, nahe Gefahr erforderlich.Zum anderen stehe nur die Freigabe der "Weber" für das Deutsche Theater zur Debatte, die nicht ohne weiteres die Zulassung für andere Bühnen nach sich ziehe. Die Plätze im Deutschen Theater seien so teuer, die Zahl der billigen Plätze so gering, "dass dieses Theater nur von Mitgliedern derjenigen Gesellschaftskreise besucht wird, die nicht zu Gewalttätigkeiten geneigt sind". Das Oberverwaltungsgericht hob die Vorentscheidung auf und gab den Bühnenweg der "Weber" frei.

Aufsatz aus der Bär von Berlin, Jahrbuch 1961, S.52-54
eingescannt v.J.Kluge, 2012