Hans Diefenbachs Vermächtnis an Rosa Luxemburg
Von Joachim Lachmann

Der aus Stuttgart stammende Medizinstudent Hans Diefenbach (geb. 1884) fand frühzeitig Fühlung mit dem Kreise um Familie Kautsky und Rosa Luxemburg (geb. 1870). Ihn zeichnete eine musikalische und literarische Bildung aus, als Mediziner zugleich auch eine "unübertreffliche Güte und Hilfsbereitschaft, aus der sein Bekenntnis zum Sozialismus und sein politisches Interesse entsprangen, und er kannte keine größere Freude, als daß er, der aus behaglichen materiellen Verhältnissen stammte, anderen helfen konnte".

So charakterisiert ihn Benedikt Kautsky in seinem Buche: "Rosa Luxemburg. Briefe an Freunde, nach dem von Luise Kautsky fertiggestellten Manuskript."[1] Fand Diefenbach doch dafür in seiner ärztlichen Tätigkeit eine wesentliche Befriedigung. er wurde ein häufiger Gast und Freund Rosa Luxemburgs.

Ihre zahlreichen Briefe an ihn, vornehmlich in den Jahren 1914 bis zu seinem an der Front erlittenen Tode 1917 spiegeln die enge geistige Freundschaft wider, die beide verband. Darin wird die Erinnerung an die geselligen Abende in ihrer Wohnung in der Lindenstraße 2 in Südende lebendig, wo Diefenbach Goethe und andere Werke der deutschen Literatur zur Vorlesung brachte.[2]

Als er an der Westfront als Militärarzt wirkte und sich unterschiedslos Soldaten und Zivilisten widmete, verfaßte er kurz vor seinem frühen Tode - in Ausübung seines Dienstes traf den 33jährigen eine Granate tödlich in der Nacht vom 24. zum 25. Oktober 1917 - seinen letzten Willen aus Domremy bei Charleville o.D.

Er vermachte darin Rosa Luxemburg sein Vermögen in Höhe von 50 000 Mark, das er von seinem Vater geerbt hatte, jedoch mit einer einzigartigen Auflage, mit der die humanen und sozialen Eigenschaften der beiden besonders gekennzeichnet sind. Das Testament ist so charakteristisch, daß der Wortlaut für sich spricht. Es fand sich in den im Landesarchiv Berlin verwahrten Nachlaßakten betreffend Rosa Luxemburg des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg.[3]

Das Testament lautet:
"Meiner Freundin Dr. Rosa Luxemburg, Berlin-Südende, Lindenstr. vermache ich 50 000 M jedoch mit einer Klausel: Die genannte Summe soll von irgend einer entsprechenden Instanz z.B. von meiner Schwester verwaltet und der Erbin der jährliche Zins bis zu ihrem Tode regelmäßig ausgezahlt werden. Ich treffe diese Bestimmung, da meine ausgezeichnete Freundin in der Privatökonomie vielleicht keine ganz so geniale Meisterin ist, wie in der National-Ökonomie. Ein impulsives Ausgeben der genannten Summe für irgend einen momentanen politischen Zweck läge nicht im Sinne meines Vaters, des Erwerbers des Geldes, als dessen bloßer Verwalter ich mich eigentlich fühle, nicht als dessen gemeiner Besitzer. Wohl aber bitte ich meine Freundin Rosa Luxemburg für den Fall ihres Ablebens eine Bestimmung zu treffen, wie die genannte Summe von 50 000 M als dann für unsere gemeinschaftlichen großen politisch-sozialen und philanthropischen Ideale zweckentsprechend verwendet werden sollen. Das Bestimmungsrecht hierüber soll ihr für ihr Testament vollkommen zustehen. Die jährlich ausgezahlte Zinssumme bitte ich sie sorglich in meinem Sinne zu verwenden und dabei vor allem zu berücksichtigen, daß nicht bloß die Gemeinschaft unserer Ideen, sondern auch ihr eigenes körperliches Wohlergehen stets eine nahe Herzensangelegenheit gewesen ist. Sie soll also die jährliche Rente nicht bloß, wie dies ihrem großartigen Natürel entspräche, für andere bedürftige Leute sondern in erster Linie für sich selbst verwenden.
gez. Hans Diefenbach."

Leider konnte Rosa Luxemburg infolge ihres frühen, gewaltsamen, in der Nacht vom 16. zum 17. Januar 1919 erlittenen Todes die Erbschaft nicht mehr antreten. Erst einige Jahre nach der Inflation, im Jahre 1927, erzielten ihre Erben eine stark reduzierte Summe.

Nachdem Rosa Luxemburg die Nachricht vom Tode ihres Freundes Diefenbach erhalten hatte, würdigte sie ihn in einem Kondolenzbrief an seine im Testament genannte Schwester Gretl mit den Worten: "Hans übertraf alle Menschen, die ich kenne, an innerer Noblesse, an Reinheit und Güte. Das ist bei mir nicht der übliche Drang, von einem Toten etwas Gutes zu sagen."

Und sie fährt dann fort: "Ich habe zugleich den teuersten Freund verloren, der wie kein anderer jede meine Stimmungen, jede Empfindung verstand und mitempfand. In der Musik, in der Malerei wie in der Literatur, die ihm, wie mir, Lebensluft waren, hatten wir dieselben Götter und machten gemeinsame Entdeckungen."[4]

1 Zürich: Büchergilde Gutenberg 1950, S. 16.
2 Vorher wohnte sie in der Cranachstraße 58 in Schöneberg, dann Lindenstraße 2 in Südende (Bezirk Steglitz), heute umbenannt in Biberacher Weg.
3 Rep. 50 Acc. 1014 nr. 5884 und 10065.
4 Wie Anm. 1. S. 134-35.

Aus: "Mitteilungen" 64, 1968, S. 174-175.

Red.: Gerhild H. M. Komander 11/2003