Emil Grunmach

04.05.1849 Schwetz (Westpreußen) - 01.08.1919 Berlin

Tätigkeit: Internist, Chirurg, Röntgenologe, Röntgenwissenschaftler

Lebens- und Wirkungsstätten: Berlin

1873 promoviert zum Arzt
1784 habilitiert zum Privatdozenten
1874 - 1887 Assistenzarzt im Krankenhaus Am Friedrichshain,
an der Klinik Louis Waldenburg sowie an der Charité
1888 Titularprofessur an der Charité
1896-1914 grundlegende röntgenologische Fachliteratur (s.u.)
1897-1918 Leitung des ersten deutschen hochschulmedizinischen Röntgeninstituts
1900 Ernennung zum a.o. Professor1918 Ernennung zum Geheimen Medizinalrat

Der Internist, Chirurg und Röntgenologe Emil Grunmach ist einer der großen Wegbereiter der medizinischen Röntgenwissenschaft. Eine medizinische Disziplin, deren Anfänge heute kaum ein Arzt noch kennt, über die man kein Wort mehr verliert, deren Grundlagen, Techniken und Anwendungsmöglichkeiten jedoch erst einmal mühevoll erarbeitet werden mussten. Grunmach etablierte an dem einstigen „Mekka der Medizin“, der Berliner Charité, das erste Röntgeninstitut einer Universitätsklinik in Deutschland, leitete es über zwei Jahrzehnte und entwickelte unzählige röntgentechnisch-diagnostische Systeme und Verfahren. Doch kein Institut, keine Straße, keine Büste in der Stadt, in der er fast ein halbes Jahrhundert wirkte, erinnert an den großen Pionier der Röntgenologie: Grunmach ist – wie viele Persönlichkeiten seiner Zeit – vergessen. Darum soll an dieser Stelle eine kurze Würdigung erfolgen.

Emil Grunmach wurde am 4. Mai 1849 in Schwetz (Westpreußen) geboren. Nach Absolvierung des dortigen Gymnasiums ging er nach Berlin. Hier studierte er an der Berliner Universität (Friedrich-Wilhelms-Universität; seit 1949: Humboldt-Universität zu Berlin) und der ihr angeschlossenen Charité Medizin mit Schwerpunkt Chirurgie. 1873 promovierte er mit der Dissertation „Über die Struktur der quergestreiften Muskulatur der Insekten“ und 1874 habilitierte er sich als Privatdozent an der Universität. Bis 1877 war Grunmach dann Assistent in der Inneren Abteilung des 1874 eröffneten heutigen Krankenhauses Am Friedrichshain, das erst 1882 (!) einen eigenen Operationsraum erhielt. 1877 rückte er zum Assistenten in der renommierten Privatklinik von Louis Waldenburg auf, und 1880 erhielt er eine Anstellung als Assistenzarzt in der Poliklinik der 2. Medizinischen Universitätsklinik an der Charité. An der für die damalige Zeit vorbildlich ausgestatteten Klinik konnte er seine physikalisch-technischen und physiologischen Kenntnisse erweitern. Hier habilitierte er sich 1883, wurde 1887 Erster Assistenzarzt an der Klinik und 1888 Titularprofessor.

Schon während seiner Assistenzzeiten beschäftigte sich Emil Grunmach vorwiegend mit der damals noch wenig erforschten Physiologie und Pathologie des Herzens und der Atmungsorgane. Die Entdeckung der Röntgenstrahlen am 8. November 1895 durch Wilhelm Conrad Röntgen (1845-1923), zu der Zeit Professor der Experimentalphysik und Direktor der Universität Würzburg, veranlasste Grunmach sofort, sie in seine Untersuchungen einzubeziehen. Röntgen, der diese neue Strahlungsart zeitlebens „X-Strahlen“ nannte („X“ für „unbekannt“), hatte seine Entdeckung sofort und – anders als heute – uneigennützig seinen Fachkollegen und der interessierten Öffentlichkeit bekannt gegeben und wesentliche Grundlagen dieser Strahlungsart selbst erforscht.

Auf die Darstellung der Grundlagen und Wirkungen der Röntgenstrahlen kann hier verständlicherweise nicht eingegangen werden, nur soviel: Röntgenstrahlen sind hochenergetische, ionisierend wirkende Elektronenstrahlen, die praktisch alle Materie durchdringen können. Damit ging ein uralter Traum der Mediziner in Erfüllung: Ohne blutigen, zerstörerischen und schmerzhaften Eingriff in den menschlichen Körper anatomische Veränderungen – also (auch) Krankheiten – sichtbar machen zu können! Diese neue Möglichkeit reizte Ärzte und Physiker dermaßen, dass bereits am 17. Januar 1896 die erste medizinische Röntgenaufnahme in Deutschland erfolgte – also nicht einmal 10 Wochen nach Röntgens Entdeckung! Freilich dauerte es noch Jahrzehnte ungezählter Experimente, in denen Tausende aus Unkenntnis der (schädlichen) Wirkungen dieser Strahlen ihre Gesundheit oder ihr Leben ließen, bis die uns heute geläufige Röntgentechnik und Computertomografie selbstverständlicher Standard ärztlicher und zahnärztlicher Praxen und Krankenhäuser wurde. Wenige Monate später wurden die neuen Strahlen dann erstmals auch zu therapeutischen Zwecken (von Tumoren) verwendet – Strahlenschäden hatten darauf aufmerksam gemacht, dass die „segensreichen“ Strahlen auch zerstörend wirken können!

An technischen Dingen zeitlebens interessiert, begann Emil Grunmach bereits wenige Wochen nach bekannt werden der Entdeckung der Röntgenstrahlen mögliche Anwendungen für die Medizin zu erkunden. Im Frühjahr 1896 begann er mit den Experimenten. Da noch keinerlei röntgenspezifisches Instrumentarium zur Verfügung stand – eine „Röntgenindustrie“ konnte es ja noch nicht geben –, entwickelte Grunmach mit selbst gebauten Röntgenapparaturen erste diagnostischen Verfahren.

Die diagnostischen Aussagen der auf den damaligen gläsernen Röntgenplatten oder Bariumplatinzyanür-Fluoreszenzschirmen erzeugten „Röntgenbilder“ waren anfangs äußerst eingeschränkt. Die Expositionszeit einer Röntgenaufnahme oder -durchleuchtung lagen wegen der geringen Leistung der dafür verwendeten Gasentladungsröhren (Röntgenröhren nach heutigem Verständnis gibt es erst seit 1911) bei 10 bis über 60 Minuten (!). Trotzdem konnte Emil Grunmach schon im Juni 1896 in dem Fachbeitrag „Über Röntgenstrahlen zur Diagnostik innerer Krankheiten“ in der Berliner klinischen Wochenschrift berichten, dass es „nunmehr gelungen ist, mit Hülfe der Röntgenröhren durch den Fluoreszenzschirm wichtige innere Organe zu sehen, ihre Lage und Größe zu bestimmen, endlich auch ihre Bewegung zu verfolgen (…)“. Grunmach hatte mit dem Physiologen René Du Bois-Reymond (1863-1936) und dem Ingenieur Max Levy (1896-1932) im Berliner Institut der AEG Untersuchungen bei Kranken und vergleichsweise auch bei Gesunden durchgeführt – Ein frühes Beispiel der bis heute fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen Ärzten, Wissenschaftlern und der Industrie! Anfang 1897 gelang es Grunmach dann auch, Form, Größe, Lage und pathologische Veränderungen von Lunge, Herz, Zwerchfell, Aortensystem, Mediastinum (svw. Brustraum), Skelett usw. zu zeigen. Mitte 1898 skizzierte er erstmals ein genaues Bild von Lungentumoren unter „Röntgenlicht“ (wie man damals sagte). Welche Fortschritte waren das in so kurzer Zeit, deren immense Bedeutung für die Medizin wir heute kaum ermessen können! Mit zahlreichen Beiträgen und Vorträgen in wissenschaftlichen Vereinen und auf Kongressen trat Grunmach mit seinen gewonnenen Erkenntnissen für die neue Disziplin der medizinischen Röntgentechnik ein und zeigte ihre ungeahnten Möglichkeiten.

So war es nur folgerichtig, dass Emil Grunmach die Erlaubnis zum Aufbau eines (staatlichen) Röntgeninstituts an der Charité und dessen Leitung erhielt. Dafür wurde aus dem Etat des preußischen Kultusministerium der nicht unerhebliche Betrag von 50.000 Mark zur „Förderung von Untersuchungen mit Röntgenstrahlen“ bereitgestellt. Das „Institut für Untersuchung mit Röntgenstrahlen“ wurde Anfang 1897 (das genaue Gründungsdatum ist nicht mehr feststellbar) auf einem damals ziemlich entfernten Gelände der Charité, der Luisenstraße 16, eröffnet. Ab November 1901 wurde es als „Königliches Universitätsinstitut für Untersuchungen mit Röntgenstrahlen zu Berlin“ in großzügigen Räumlichkeiten der Luisenstraße 3 (jetzt direkt an der Charité) weitergeführt.

Alles, was damals neu (und damit hochmodern) war, hatten Emil Grunmach und seine Mitarbeiter für das Institut besorgt – das meiste jedoch wurde selbst entwickelt. Es gab mehrere Röntgenapparate mit zugehörigen Hochspannungserzeugern, ein „Photographisches Atelier“, eine Dunkelkammer, ein Physikalisches Laboratorium, ein Auditorium, Warte-, Personal-, Sanitärräume, eine Bücherei, Arztzimmer usw. Es war das erste hochschulmedizinische Röntgeninstitut in Berlin und das erste an einer Universitätsklinik in Deutschland. Es diente primär der Lehre und Forschung, wurde aber sehr schnell auch für die Patientenversorgung der zahlreichen Kliniken der Charité herangezogen, die damals über keine eigenen Röntgeneinrichtungen verfügten (siehe unten). Unter Grunmachs Leitung begann sich hier die Röntgenologie (seit 1905 wird hierfür auch der Terminus „Radiologie“ benutzt) als eigenständiges medizinisches Fach zu etablieren.

Das „Grunmach´sche“ Röntgeninstitut an der Charité wurde rasch zu einer führenden Einrichtung in Berlin und zog zahlreiche auswärtige Besucher an. Etwa zeitgleich – 1900 – wurde Emil Grunmach zum außerordentlichen Professor an der Medizinischen Fakultät der Berliner Universität ernannt und 1901 erhielt er das Extraordinariat für das Institut, was mit einem Jahresgehalt von 4.150 Mark verbunden war.

Emil Grunmach war der erste Hochschullehrer in Deutschland, der röntgenologische Vorlesungen in den akademischen Unterricht einbezog. Die ersten diesbezüglichen Vorlesungen begannen im Wintersemester 1897/1898; sie endeten mit dem Wintersemester 1914/1915. Zusammenfassend gesagt, diente das Röntgeninstitut an der Charité der Erforschung diagnostischer (ab 1901 auch therapeutischer) Anwendungen der Röntgenstrahlen in der Inneren Medizin, der Chirurgie und der Lehre. Hierfür erarbeiteten Ärzte und Physiker der Wirtschaft gemeinsam Studien zur Entwicklung immer bessere und leistungsfähigerer Röntgensysteme, Hilfsgeräte, Dosismesser und Strahlenschutzmaßnahmen. Hier „vermaß“ z.B. auch Rudolf Virchow (1821-1902) den Schädel, Brustkorb und die Extremitäten des amerikanischen Riesen L. Wilkins röntgenologisch. Auf der Internationalen Tuberkulosekonferenz in Berlin 1902 war das Institut mit den damals modernsten Bildmedium, stereoskopischen Röntgen-Diapositiven, vertreten. Zur Weltausstellung in St. Louis 1904 stellte es selbst entwickelte und -gebaute Röntgengeräte und Zubehör aus.

Emil Grunmach, der sich seit der Entdeckung der Röntgenstrahlen ausschließlich ihren diagnostischen Anwendungen widmete, fasste seine Erfahrungen in dem 1914 erschienen Standardwerk „Die Diagnostik mittels der Röntgenstrahlen in der inneren Medizin und den Grenzgebieten“ zusammen. Aus gesundheitlichen Gründen zog er sich April 1918 von allen amtlichen Verpflichtungen in der medizinischen Fakultät und der Leitung des Röntgeninstituts, das er 21 Jahre geführt hatte, zurück. Im September 1918 erhielt er (noch) durch den deutschen Kaiser den Titel eines Geheimen Medizinalrates. Ein Jahr später, am 1. August 1919, starb er am Herzschlag in Berlin.

Bereits Anfang 1919 – noch zu Lebzeiten Emil Grunmachs – wurde das Röntgeninstitut geschlossen. Da einzelne Kliniken der Charité in den letzten Jahren aufgrund steigenden Bedarfs eigene Röntgeninstitute mit eigenem Personal unterhielten, wurde der Unterricht auf diese Kliniken verteilt. Aus einiger dieser Einrichtungen waren schon vor Grunmachs Tod Institute entstanden, die seines an Größe, Ausstattung und Effektivität überboten.

Emil Grunmach hat zahllose Ärzte, Physiker und Techniker an die Röntgentechnik und ihre Anwendungen in der Medizin herangeführt und begeistert. Doch die Heranbildung seines Instituts zu einem (Charité-)Zentralinstitut oder auch einem über die Grenzen Berlins herausragenden Zentrum röntgenologischer Lehre, Forschung und Praxis konnte er nicht durchsetzen. Der Grund mag darin gelegen haben, dass er zwar ein überaus exakter, wissenschaftlicher „Arbeiter“ war und ein Mann der medizinischen Praxis – er war aber auch ein Individualist, kein Organisator und keine „Kämpfernatur“. Daher versäumte er es, einen geeigneten Nachfolger heranzuziehen. So wurde seine Position nach seiner Emeritierung fast zwangsläufig nicht neu besetzt und das Röntgeninstitut geschlossen. Ein selbständiges Röntgensinstitut an der Charité und damit an der Berliner Universität gab es erst wieder im Jahre 1940.

Literatur
Aus „Fortschritte auf dem Gebiete der Röntgenstrahlen (…)“;
Bd. 27, S. 172/173, 1919/1921
Karl H. P. Bienek: „Medizinische Röntgentechnik in Deutschland“.
Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 1994

© Karl H. P. Bienek, Berlin, den 12. April 2006