Eduard Gaertner

2.6.1801 Berlin - 22.2.1877 Flecken Zechlin

Von Ursula Cosmann

Die Wiederkehr des 200. Geburtstages von Eduard Gaertner ist willkommener Anlass, den hochgerühmten, international geschätzten deutschen Vedutenmaler des 19. Jahrhunderts mit einer umfassenden Ausstellung zu ehren. Die Retropektive, die erstmals sein gesamtes Ouvre berücksichtigt, umfasst mehr als 220 Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen und Druckgraphiken.

Gaertners Name ist auf das engste mit Berlin - seinem uneingeschränkten Hauptthema - einschließlich der die Stadt umgebenden Schlösserlandschaft verknüpft, wenngleich ein Großteil seines Schaffens die Ergebnisse einer umfänglichen, künstlerisch außerordentlich fruchtbaren Reisetätigkeit aufzeigt. Gaertners Stadtveduten von Paris und Prag, von Thorn und Moskau zeugen von seiner überragenden Qualität und weisen ihn als europäisch orientierten Berliner Vedutenmaler aus. Märkisch-preußische Landschaftsbilder, konsequenterweise die Architektur einbeziehend, sowie eine Reihe von Bildnissen runden die Themenbereiche zum Schaffen des Malers ab.

Ergänzt wird die Werkschau durch äußerst seltene frühe Photographien der fünfziger und sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts aus dem Besitz Eduard Gaertners, die zu einem großen Teil von der Hand so namhafter Photographen wie Leopold Ahrendts und F. Albert Schwartz stammen. Hierbei handelt es sich um die überraschende Entdeckung einer bislang völlig unbekannten Sammlung von Berlin-Ansichten, welche eine neue Facette des künstlerischen Arbeitsprozesses von Gaertner aufzeigt und darüber hinaus eine unverhoffte Bereicherung für die Berliner Photographiegeschichte des 19. Jahrhunderts bedeutet.

Fast ausschließlich sind dieselben Stadtbildmotive abgelichtet, die auch Gaertner im Bilde festgehalten hat: in Malerei und Graphik gängige Ansichten von der Gegend um das Königliche Schloss einschließlich Langer Brücke mit dem Denkmal des Großen Kurfürsten, vom östlichen Abschluss der Straße Unter den Linden, von der Schlossbrücke bis zum Reiterstandbild Friedrichs des Großen. Gaertner, welcher sich für seine Architektur- und Stadtraum-Darstellungen, wie in diesem Genre üblich, einer Camera obscura bediente, dürfte die Entwicklung des neuen Bildmediums mit großem Interesse verfolgt haben, konnte er es doch zu seiner Arbeitserleichterung als Hilfmittel nutzen; auszuschließen ist, daß die Photographie Gaertner zur Vorlage für seine Gemälde diente.

Seine Hauptwerke fallen in die erste Jahrhunderthälfte, in eine Zeit, in welcher die Residenz noch überschaubar und durchaus noch keine europäische Metropole wie Paris oder London war. Mit dem beginnenden Industriezeitalter veränderten sich nur langsam Funktion und Charakter der Stadt. Den königlichen Bauten aus friderizianischer Zeit hatte Schinkel seine modernen städteplanerischen Konzepte, in denen sich bürgerlicher Bildungsanspruch manifestierte, gegenübergestellt. Beides, zu einem städtischen Gefüge vereint, spiegelt sich gleichermaßen in Gaertners Bildern, verbunden mit dem Wunsch, die gewohnte Lebensweise zu bewahren.

An der Königlichen Porzellan-Manufaktur Berlin [KPM] begann der Künstler - wie mehrere Berliner Architekturmaler - seine Ausbildung; im Unterricht für perspektivische Zeichenkunst bei seinem Lehrer Leopold Ludwig Zielcke erlernte er die Grundlagen für die perfekte handwerkliche Beherrschung räumlicher Darstellungen. In Gaertners gesamtem Schaffen wird diese früh geübte Vorliebe für perspektivisch schwierige Bildkompositionen spürbar bleiben.

Von 1821 bis 1825 erweiterte er als Dekorationsmaler seine künstlerischen Fertigkeiten im Atelier des Königlichen Hoftheatermalers Carl Wilhelm Gropius, des späteren Begründers von Berlins berühmten Diorama. In dieser Zeit reichte der junge Künstler erste Arbeiten, die "Ansicht vom Innern des Doms zu Berlin" und "Die Schloß-Kapelle in Charlottenburg" zu den Ausstellungen der Akademie der Künste ein und gab damit sein Debüt als Architekturmaler. Gaertner, durch den Verkauf eines Gemäldes an Friedrich Wilhelm III. in die glückliche Lage versetzt, eine Studienreise finanzieren zu können, wandte sich für drei Jahre nach Paris, ein für seine künstlerische Entwicklung entscheidender Aufenthalt. Hier erschloß er sich als Maler den Freiraum; er verband in seinen Pariser Ansichten den Blick für zwanglos wirkende Bildausschnitte und das Gefühl für die malerische Wiedergabe der Luft und des Lichtes - hier entschied er sich eindeutig für die Architekturvedute.

Wieder in Berlin entstand die lange Reihe seiner unvergleichlichen Stadtschilderungen von Preußens Hauptstadt. Sie beginnt 1828 mit dem Gemälde "Die Wendeltreppe in dem Königlichen Schlosse zu Berlin" und weiteren vom König angekauften Schloßansichten.

Die Ausstellung bietet eine Zeitreise. Die Besucher können sich mit Gaertners detailfreudigen, wirklichkeitsnahen Berlin-Ansichten in das unwiderruflich verlorengegangene Alt-Berlin zurückversetzen lassen, sich auf malerische Entdeckungsreise auf die Prachtstraße Unter den Linden begeben, um sich nahe Schinkels Neuer Wache unter das geschäftige Leben und Treiben zu mischen. Reizvoll, als sinnliches Augenerlebnis, erschließen sich ihnen die engen Straßen der Handwerker und Kleinbürger in der Kronen- und Reetzengasse, der Spittelmarkt mit seinem Markttreiben im Umfeld der Gertraudenkirche, der Gendarmenmarkt, die Königsbrücke mit den Königskolonnaden (siehe Abbildung), die Sommerresidenzen Bellevue und Charlottenburg.

Dabei bleiben die Erkundungen der höfischen und bürgerlichen Bereiche der biedermeierlichen Stadt nicht nur auf die topographischen Gegebenheiten begrenzt. Es ist das Besondere an Gaertners Bildern, daß er das urbane Fluidum einfängt, das lebendige Treiben auf Straßen, Plätzen und Märkten, daß er das Atmosphärische von Luft und Licht sichtbar machen kann.

Höhepunkt in Gaertners Schaffen - und damit auch in der Ausstellung - bilden die Berlin-Panoramen, die in sämtlichen Fassungen erstmals nebeneinander gezeigt werden.

Vom Dach der nach Plänen von Schinkel 1830 fertiggestellten Friedrichswerderschen Kirche begann Gaertner 1832 mit einem ersten Rundblick, um 1834 dazu überzugehen, ein sechsteiliges Winkelpanorama unter Einbeziehung des Kirchdaches zu malen. Vor dem Betrachter breitet sich die heterogene architektonische Vielfalt der Residenzstadt aus und gleichermaßen kann der Besucher im malerischen Detailreichtum den lebendigen Organismus der Stadt erleben. Mit einer Wiederholung des Panoramas reiste Gaertner 1837 in der Absicht nach Rußland, die Replik an die Zarin Alexandra Feodorowna, einer Tochter Friedrich Wilhelms III. und der Königin Luise, zu verkaufen. Die künstlerischen Ergebnisse dieser und einer zweiten Reise 1838 - so das Panorama des Moskauer Kremls und eine in der Gaertner-Forschung bislang unbekannte Serie von zwölf lithographierten Moskau-Ansichten - führen zu einem weiteren Höhepunkt in der Ausstellung.

Nach dem Tode Friedrich Wilhelms III., Gaertners Förderer und Käufer, sah sich der Künstler gezwungen, auf Reisen u.a. nach Ost- und Westpreußen, nach Schlesien und Prag neue Themenfelder zu erschließen. Im Lauf der zweiten Jahrhunderthälfte wurde seine Kunst immer weniger geschätzt.

Kontinuierlich verschwand die alte beschauliche Residenz durch die rasche Ausbreitung der Stadt, die sich zu einem Zentrum von Wirtschaft und Industrie entwickelte. Gaertner malte schließlich 1869 sein letztes Berlinmotiv "Die Berliner Straße in Charlottenburg", ehe sich der alternde Künstler 1870 ins brandenburgische Flecken Zechlin zurückzog. Von der Kunstgeschichte übergangen, wurde er erst auf der "Deutschen Jahrhundert-Ausstellung" 1906 wiederentdeckt. Trotzdem fand Berlins bedeutendster Vedutenmaler erst in zwei - allerdings jeweils nur Teile des Werkes erfassenden - Personal-Ausstellungen eine Würdigung: 1968 im Berlin Museum in West-Berlin und 1977 im Märkischen Museum in Ost-Berlin. So zeigt die Ausstellung des Stadtmuseums erstmals eine Gesamtschau seines Werkes.

Aus: "Mitteilungen" 2/2001