Julius Beer und die Gründung des Vereins für die Geschichte Berlins1865
(Siehe auch: Nachlass-Splitter von Dr. Julius Beer im Vereinsarchiv)
(Siehe auch Beitrag auf den Seiten der Ephraim Veitel Stiftung: Ein Stammbuch von Giacomo Meyerbeer - 1866 veröffentlichtes Familiendokument zeigt Bezüge der Familien Meyerbeer/Ephraim)

Von Martin Mende

Wie so viele Straßen des alten Berlin ist die Prenzlauer Str. aus dem Stadtplan der Stadt verschwunden. Wo jetzt das Hotel Park Inn arn Alexanderplatz in den Himmel ragt, da mündete sie bis 1969 in die Alexanderstraße, führte nach Norden zum ehemaligen Prenzlauer Tor und ging dann in die Prenzlauer Allee über. Man muß sich also die Prenzlauer Str. hinter der östlichen Randbebauung der jetzigen Karl-Liebknecht-Str. vorstellen; die danebenliegende Keibelstr. ist noch vorhanden.

Julius BeerFoto: Julius Beer (1822-1874), Mitbegründer des Vereins für die Geschichte Berlins, Vereinsarchiv

Julius Beer wurde am 18. August 1822 in einem "kleinen Häuschen", Prenzlauer Str. Nr. 53, geboren. Die jüdische Familie lebte dann Jahrzehnte im Hause Prenzlauer Str. 60, noch im Adreßbuch von 1840 ist einJ. S. Beer als Particulier (d. h. Privatmann) verzeichnet, vermutlich sein Vater. Beer erzählte später, in der gesamten Straße hätten sich damals nur ca. 50 Häuser befunden. "Das Leben und Treiben in der Prenzlauerstr. war im Ganzen ein richtig klein städtisches, nur selten unterbrochen durch eben nicht alltägliche Ereignisse".[1]

Immerhin begann in der Prenzlauer Str. 59 die Karriere von Daniel Josty (1777-1845), aus Graubünden stammend und als Konditor und Brauereibesitzer zu einem gewissen Wohlstand gelangt. Zu seinem Andenken trug ein Teil der jetzigen Mollstr. von 1890 bis 1969 den Namen Jostystr. Julius Beer besuchte von 1834 bis 1842 das Berlinische Gymnasium zum Grauen Kloster.

Nach seinem Studium der Medizin arbeitete er als praktischer Arztin Berlin und wurde nach Aussage von Dr. Beringuier -dem Vereinsvorsitzenden von 1898 bis 1916 -ein würdiger Nachfolger des "Alten Heim".[2] Beer veröffentlichte in Zeitungen und Zeitschriften zahlreiche Artikel zur Geschichte und Gegenwart Berlins, so zum Beispiel die "Memoiren einer Berliner Wickelfrau" (Berlin 1872).

Er mischte sich auch in den Streit um die Legalität von Bordellen ein und vertrat in einem Vortrag am 23. September 1856 vor der Gesellschaft für Heilkunde einen prostitutionsfreundlichen Standpunkt. Angesprochen von der "Elite der Bordellwirthe" führte er aus, eine Bordellbewohnerin leiste zur Vermeidung des" Übels der onanitischenAushülfemittel" soviel wie zwölf "Winkeldirnen". Aufgrund des Eisenbahn baus gebe es mindestens 10.000 Prostituierte in der Stadt; außerdem müsse an die 80.000 unverheirateten Männer gedacht werden, die sich keine Mätresse leisten könnten.[3]

Vor allem aber machte sich Julius Beer zunehmend Sorge um die weitere bauliche Entwicklung seiner geliebten Heimatstadt. Zusammen mit dem Polizeisekretär Ferdinand Meyer hielt er 1864 die Zeit für gekommen, auch in Berlin einen Geschichtsverein ins Leben zu rufen. Vorangegangen waren die Gründungen des "Vereins für die Geschichte der Mark Brandenburg" 1837 und des Potsdamer Geschichtsvereins von 1862.

Julius Beer war inzwischen in die Große Präsidentenstr. 1 gezogen; nur wenige Schritte entfernt wohnte in der Neuen Promenade am Hackeschen Markt der vermögende Kommerzienrat Theodor Flatau, ein weiterer Förderer der Vereins gründung. Nach positiver Stellungnahme des Oberbürgermeisters Seydel schrieb Beer im November und Dezember 1864 weitere bekannte Persönlichkeiten an. So bemühte er sich auch um Theodor Fontane, der jedoch in einem Schreiben an Beer vom 27. Januar 1865 eine Mitgliedschaft mit verbindlichen Worten ablehnte. Einzelheiten über Fontanes Beziehung zu unserem Verein kann man im Aufsatz von Rudolf Danke im Vereinsjahrbuch 1965 finden. Hier sei nur angemerkt, daß Fontane 1885 schließlich doch Mitglied des Vereins wurde. Zu seinem 70. Geburtstag am 30. Dezember 1889 beschloß der Vorstand, Fontane ab 1890 als Ehrenmitglied zu führen. urück zur Gründungsphase 1865. Bereits Ende 1864 hatten Dr. Beer und Ferdinand Meyer an Persönlichkeiten, die für einen Beitritt in Frage kamen, folgenden Aufruf versandt:Beer und Meyer waren überzeugt, daß bei den Berlinern ein großes Bedürfnis nach Information über die Geschichte der Stadt vorhanden sei. Sie konnten sich die Unterstützung des Chefredakteurs der Spenerschen Zeitung, Dr. Alexis Schmidt, und des Stadtarchivars Ernst Fidicin sichern.

"In der jetzigen, zumeist dem Materialismus zugewendeten Zeit sehen wir die alten Denkmäler unserer Vaterstadt mehr und mehr schwinden. In den Strom der Zeit, welcher zwischen der Vorfahren Grabstätte und der Wiege unserer Kinder dahinrauscht, ist bereits ein großer Theil altberlinischer Geschichte versunken. Aber dennoch sind der Schätze viele zu heben, die im Verborgenen ruhen. Ermuntert durch die mannigfachen Erfolge, nicht nur in den letzten Dezennien, sondern auch in neuester Zeit, beabsichtigt das unterzeichnete Comitee einen Verein für die Geschichte der Stadt Berlin ins Leben zu rufen. Diejenigen unserer Mitbürger, welche ein thätiges Interesse für den beregten Gegenstand an den Tag legen und dem Verein beitreten wollen, werden ersucht, ihre schriftlichen Meldungen gefälligst an eines der unterzeichneten Comitee-Mitglieder gelangen zu lassen und das Weitere zu gewärtigen.
Berlin, den 15. Jan. 1865, gez. Dr. Julius Beer, Ferdinand Meyer"

Auch in Berliner Tageszeitungen wurde auf die geplante \Tereinsgründung hingewiesen. Am 28. Januar 1865 versammelten sich im Cafe Royal Unter den Linden 33, Ecke Charlottenstr. -heute steht hier ein Gebäude der Deutschen Bank mit dem Guggenheim -Museum Berlin -, zahlreiche zurVereinsgründung entschlossene Berliner. Oberbürgermeister Seydel, der die Sitzungsleitung übernommen hatte, erläuterte das Anliegen des zu gründenden Vereins. Der Schilderung des Chefredakteurs der Haude und Spenerschen Zeitung zufolge, legte Dr. Beer danach dar, daß die Wiege vieler Einwohner nicht Berlin gewesen sei:

"Diese Stadt assimiliere sich, wie jenseits des Oceans der anglo-sächsische Stamm, die fremden Elemente schnell und sicher. Und schon von Alters her sei es so gewesen. Den Sinn für die Geschichte Berlins, für die Denkmäler der Vergangenheit, müsse ein Verein beleben, wie er jetzt möglich sei, nachdem sich so viele ausgezeichnete Männer Berlins der Sache angenommen hätten. (u.) Der projektierte Verein werde sich in der freundschaftlichsten Verbindung mit dem bereitsbestehenden Verein für die Geschichte der Mark Brandenburg zu erhalten haben, wie denn auch angesehene Mitglieder des letztem sich an den vorliegenden Arbeiten mitbetheiligen wollen.,,[4]

Mit geringen Änderungen wurde das vorbereitete Vereinsstatut en bloc angenommen und auch die Wahl der Vorstandsmitglieder für das erste Jahr war einstimmig. Den Vorsitz übernahm Oberbürgermeister Seydel, seine Stellvertreter wurden der ehemalige Oberbürgermeister Krausnick (seit 1862 Ehrenbürger Berlins) und der Geheime Justizrat Odebrecht (Mitbegründer des Vereins für die Geschichte der Mark Brandenburg).

Zum Generalsekretär wählte man Dr. Julius Beer, als Schriftführer die Mitglieder Ferdinand Meyer und Sauer. Aufschlußreich ist die berufliche Zusammensetzung der 29 Vereinsgründer: Diese bestanden aus 9 Hof-und Staatsbeamten, 4 städtischen Beamten, je 3 Ärzten und Lehrern, je 2 Offizieren, Professoren und Kaufleuten, je 1 Schriftsteller und Gewerbetreibender sowie 2 Rentiers. Bereits Ende Februar 1865 war die Zahl der Mitglieder auf über 100 angewachsen, Ende des Jahres 1868 zählte man 293 Personen.

Dr. Beer schrieb auch weiterhin Beiträge für verschiedene Publikationen So beklagte er in der Vossischen Zeitung mit einem Gedicht von sieben Versen den Abriß des Rosenthaler Tores. Paris hätte sein Tor stehen lassen; auch in London "seit acht und hundert Jahren es kein Stein verlor". Doch anders in der Weltstadt Berlin mit dem Rosenthaler Tor -"heute geht es mit mir zu Ende, nicht bin ich altersschwach, denn mühsam geht der Abbruch, es stöhnt und kracht". In der Liste der öffentlichen Vorträge des Vereins erscheint Julius Beer mit folgenden Themen: "Johanniter vor Berlin", "Kampf der Bader und Barbiere in Berlin", "Die Namen Berlin und Kölln", "Fleisch-Statut für die Berliner Juden 1443", "Alte jüdische Friedhöfe in Berlin", "Kurbrandenburgische Leibärzte", "Schubstuhl", "Siegeseinzug nach dem Türkenkriege" , "Die Geschichte der Prenzlauerstr.". Der letztgenannte Vortrag fand am 23. März 1874 statt.

Beer wurde seit 1873 als Sanitätsrat in der Mitgliederliste geführt; im Vereinsarchiv trägt sein Foto(Nr.36)den eigenhändigen Zusatz:"med.pr.Berolinensis" (d.h.praktizierender Berliner medicus). Bis zu diesem Zeitpunkt war er auch 1.Schriftführer desVereins.Anfang 1874 wurde das Vereinsstatut geändert, so daß nunmehr Mitglieder, welche mehrere Jahre lang ein Vorstandsamt bekleidet hatten, bei ihrem Ausscheiden aus dem Vorstand durch die Generalversammlung zu immerwährenden Vorstandsmitgliedern ernannt werden konnten. Das geschah 1874 für Dr. Beer. Am 18. November 1874 verstarb unser Vereinsgründer im Alter von 52 Jahren.

Anschrift des Verfassers:
Martin Mende, Hölderlinstr. 13, 14050 Berlin

Anmerkungen

[1] Eigenhändiges Manuskript von Julius Beer zu seinem letzten Vortrag am 23. März 1874 "Zur Geschichte der Prenzlauerstr. - Erforschtes und Erlebtes" (im Vereinsarchiv).

[2] Festansprache zum 25jährigen Vereinsjubiläum 1890, Schriften des Vereins für die Geschichte Berlins, Heft XXVIII, S. 42--43, Berlin 1890.
[3] Zitiert nach Benedikt Goebel: Der Umbau Alt-Berlins zum modernen Stadtzentrum, Berlin 2003, S. 21 (Verlagshaus Braun).
[4] Der Bär von Berlin. Jahrbuch des Vereins für die Geschichte Berlins von 1965, S. 329.