Gertrud Eysoldt (1870-1955)
Grabstätte: Französischer Friedhof I, Chausseestraße 127, Abt. CH
Am Beginn des modernen Theaters stand eine Frau im Rampenlicht, die 1955 starb und schon zu Lebzeiten nahezu vergessen war: Gertrud Eysoldt. Ihr Grab neben Hegel und Fichte ist auch (bis jetzt) kein Ehrengrab.
Das Grab Eysoldts © Erika Babatz 2014
Der Spruch darauf stammt von Goethe:
„Was einmal war in allem Glanz und Schein,
es regt sich dort, denn es will ewig sein.“
Ihr Name ist von Anfang an mit dem Aufstieg Max Reinhardts verknüpft. Die Eysoldt war seine große Entdeckung und Errungenschaft. Er brachte sie mit jener Art von Dramatik zusammen, für die sie die ideale Darstellerin war: Strindberg, Wedekind, Oscar Wilde, Hugo von Hofmannsthal. Die Eysoldt war immer zur Stelle, wenn es darum ging eine Richtung durchzusetzen oder eine Rolle in einem neuen Licht zu zeigen.
„Ich habe von Anfang an zur Avantgarde gehört. Neue Ufer, neue Ozeane – das war, wonach ich mich sehnte. So bin ich von den Regisseuren mit Vorliebe für moderne, problematische Frauennaturen gewählt worden.“
Wedekinds Lulu, Oscar Wildes Salome, Strindbergs Fräulein Julie: Gertrud Eysoldt spielte die so genannten Weibsteufel oder Perversen, wie sie damals im Zeitungsjargon hießen: unheimliche, mörderische Wesen, eine Mischung von kindlicher Naivität und Verdorbenheit. Nicht zu Unrecht hat man sie als die erste Feministin des deutschen Theaters bezeichnet, denn in ihren Rollen lag auch ein Protest gegen männliche Barbarei und gesellschaftliche Unterdrückung der Frauen. Kein Wunder, dass viele Kritiker sie als Verstandesschauspielerin abqualifizierten.
Ihre berühmteste Rolle war der Puck im Sommernachtstraum von Shakespeare. Max Reinhardts Inszenierung (1905) war eine Sensation, dergleichen hatte man noch nie gesehen auf dem Theater. Es war, um mit Thomas Mann zu sprechen, „die Wiedergeburt des Theater aus dem Geist des Theaters.“ Reinhardt wurde dadurch zum Begründer des modernen Regietheaters und schuf durch das Zusammenspiel von Schauspielkunst, Musik, Licht und Farben ein Theater zwischen Traum und Wirklichkeit. Ein Theater, das den Schauspielern gehören sollte. Und Schauspieler war für Reinhardt, wer bewiesen hatte, dass er Shakespeare spielen konnte. Gertrud Eysoldt spielte als Puck gegen die Tradition. Sie war keine holde, verhuschte Elfe aus dem klassischen Ballett, sondern „ein derber, zerzauster Kobold, ein kecker Mitsommernachtsrüpel mit dröhnendem Basslachen und bockartigen Sprüngen“. (Julius Bab, 1908).
Dreißig Jahre lang (fast ohne Unterbrechung) gehörte die Eysoldt zu Max Reinhardts Schauspielern und unterrichtete seit 1905 auch an der Schauspielschule des Deutschen Theaters. Als die Nazis an die Macht kamen und Reinhardt Deutschland verlassen musste, zog sie sich – im Alter von 63 Jahren - vom Theater zurück, verließ Berlin, um in Schlesien zu leben. 1945 flieht sie in das Stuttgarter Umland. Weit weg von Berlin, in Ohlstadt bei Murnau in Oberbayern, ist sie 1955 gestorben.
Um die Erinnerung an sie wachzuhalten, stiftete der Theaterkritiker Wilhelm Ringelband 1986 den Gertrud-Eysoldt-Ring, einen begehrten Theaterpreis, der alljährlich für hervorragende schauspielerische Leistungen vergeben wird und mit 10 000 Euro dotiert ist. Preisträger waren u. a. Edith Clever, Ulrich Mühe, Martin Wuttke, Angela Winkler, Josef Bierbichler und auch der kürzlich (am 13. Juli 2014) verstorbene Gert Voss.
Text: Gerold Ducke; Fotos: Erika Babatz
Auszug aus ihrem Vortrag „Friedhof der Schauspieler“, gehalten Im Rahmen der Vortragsreihe des Vereins für die Geschichte Berlins am 3. September 2014