Ernst Deutsch (1890-1969): „Ein leuchtendes Leben“
(Charlottenburg, Jüdischer Friedhof, Heerstraße 141/Scholzplatz, Feld W1-1-Ehrenreihe)

erika babatz 2015 ernst deutsch 1

Sein Elternhaus stand in der Prager Altstadt. Er hat Kafka gekannt und war mit Franz Werfel befreundet. Für das Theater entdeckt hat ihn der Regisseur Berthold Viertel (1885-1953), der ihn nach Wien holte, wo Deutsch 1914 den jungen Dramatiker Walter Hasenclever (1890-1940) kennenlernte. Eine schicksalhafte Begegnung. Mit der Titelrolle in Hasenclevers Drama Der Sohn begann 1916 in Dresden sein Ruhm als Schauspieler des Expressionismus. Das Stück, von der Zensur für die Öffentlichkeit gesperrt, konnte nur als Matinee vor geladenen Gästen aufgeführt werden. Es war der 8. Oktober 1916, ein historisches Datum: der Beginn des expressionistischen Theaters. Ein Kennzeichen der neuen literarischen Epoche war der Vater-Sohn-Konflikt, die Revolte gegen Autorität und Tradition, die bei Hasenclever noch nicht zum Vatermord führte wie später bei Arnolt Bronnen. Hier trifft den Vater „nur“ der Schlag. Doch die Aufführung mitten im Krieg wirkte wie eine politische Demonstration. Ernst Deutsch in der Titelrolle hatte Charisma und das Ungestüm der Jugend. Die dunklen, brennenden Augen in dem schmalen Gesicht, die lauernde Haltung, der schleichende Schritt, die trancehafte Bewegung: Ein Anfang mit starken Folgen. Max Reinhardt wird auf ihn aufmerksam und Ernst Deutsch kommt aus dem ruhigen und überschaubaren Dresden in das turbulente Berlin. Nach der Novemberrevolution und der Aufhebung der Zensur spielte er Hasenclevers Sohn auch in Berlin. Nach der Premiere sagte Max Reinhardt zu ihm: „Seit gestern Abend weiß auch in Konstantinopel jeder, wer Ernst Deutsch ist.’“ Noch nicht einmal dreißig Jahre alt, gehört er von nun an in die erste Reihe der Berliner Schauspieler. Alfred Kerr nennt ihn „einen leuchtenden Seelenschauspieler, durchglutet vom Menschlichen."

Doch dann kommen die bitteren Jahre. Im April 1933 fährt Ernst Deutsch mit seiner Ehefrau Anuschka nach Prag. Alfred Polgar, Tilla Durieux, Alexander Moissi und Albert Bassermann sitzen im selben Zug. Wie andere deutsche Bühnenstars auch, ist er nun als „reisender Schauspieler“ unterwegs: Prag, Wien, Brüssel, Zürich: Überall, wo man die deutsche Sprache versteht und trotz der Nazis noch hören will. Dann der Überfall der Hitler-Armeen auf die Nachbarländer, die Flucht nach Paris und weiter nach New York, schließlich Hollywood. Unter dem Pseudonym Ernest Dorian (sein bürgerlicher Name) spielt er vorwiegend Nazis und Offiziere. Im Gespräch mit seinem Biographen Georg Zivier sagte er: „Ich werde über die Jahre der Emigration nicht sprechen, ich sage Ihnen nur eines: außer einer unheilbaren Krankheit kann einen nichts Schlimmeres treffen als die unfreiwillige Emigration.“

1947 kehrt Ernst Deutsch nach Europa zurück und spielt in Wien die Titelrolle in Arthur Schnitzlers Komödie Professor Bernhardi. Das Stück, 1912 geschrieben, ahnte großes Unheil voraus. Eine Klinik als Modell gesellschaftlicher Verhältnisse: Neid, Geltungssucht, politische Intrigen und Antisemitismus bringen einen angesehenen Mediziner ins Gefängnis. Im Burgtheater kann dieser Schnitzler immer noch nicht gespielt werden, aber im Wiener Volkstheater ist die Aufführung ein großer Erfolg. In Wien drehte Ernst Deutsch (1949) auch einen Film, der heute ein Kult-Film ist: Der dritte Mann von Carol Reed mit Orson Welles und Joseph Cotten. Er ist der dekadente Baron mit dem Hündchen, eine einprägsame Episoden-Rolle.
Bei den Salzburger Festspielen 1947 ist er in Hugo von Hofmannsthals Jedermann als Tod zu sehen. Dabei kommt es zu einem Wiedersehen mit Werner Krauß (1884-1959), der wegen seiner Mitwirkung in Jud Süß, dem widerlichsten aller antisemitischen Hetzfilme, zunächst Berufsverbot hatte und nach seiner Entnazifizierung im Salzburger Jedermann Gott den Herrn (so heißt die Rolle) spielt. Als Deutsch auf die Probe kommt, ist Krauß bereits auf der Bühne, geht auf ihn zu und umarmt ihn. Ernst Deutsch: „Vielleicht war Werner Krauß gerührt, vielleicht. Nachdem wir ziemlich lange miteinander dagestanden hatten, sah Krauß mir ins Gesicht und fragte: ’Frisst du immer noch so viel?’ Das war schon umwerfend, denn ich konnte ihm ja nicht gut erwidern: Ja, aber du warst inzwischen ein Nazi.“ 

Der Regisseur Karl-Heinz Stroux (1908-1985) überredete Ernst Deutsch dazu, im Berliner Hebbel-Theater als Robespierre in Dantons Tod von Georg Büchner aufzutreten. Premiere war am 2. März 1951. Als Deutsch auf der Bühne erschien, erhoben sich die Zuschauer von ihren Plätzen und applaudierten eine sehr lange Minute lang. Berlin begrüßte seinen Heimkehrer. Überhaupt ist die Rückkehr des Ernst Deutsch das Beispiel einer geglückten Remigration. 1954 spielte er bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen die wohl wichtigste Rolle seines Lebens: Lessings Nathan den Weisen. Das Echo war gewaltig. Friedrich Luft meinte, Deutsch habe Lessings Parabel für unsere Zeit erst wieder brauchbar gemacht. Und Günther Rühle schreibt: „Nach den Juden-Zerrbildern der NS-Zeit erlebte man eine Wiederherstellung des jüdischen Gesichts. (…) Nathan und Ernst Deutsch: die Namen wachsen zusammen.“ Als Nathan unternimmt er ausgedehnte Gastspielreisen im In- und Ausland. Er hat diese Rolle mehr als 10 Jahre lang und in über 1000 Aufführungen verkörpert. Aber auch den anderen, den dunklen und gar nicht weisen Nathan hat er gespielt, den gedemütigten und rachsüchtigen Shylock in Shakespeares Kaufmann von Venedig, die berühmteste Judenrolle der Weltliteratur (1957 in Düsseldorf und 1963 in West-Berlin). Weitere große Altersrollen waren Philipp II. in Schillers Don Carlos (1963) und vor allem der Geheimrat Clausen in Hauptmanns Vor Sonnenuntergang (1961). Die tragische Geschichte des alten, wohlhabenden Mannes, der ein junges Mädchen liebt und heiraten will und deshalb von seiner geldgierigen Sippe in den Tod getrieben wird. Einst die Glanzrolle von Werner Krauß. Wie zuvor als Nathan zieht Ernst Deutsch auch als Geheimrat Clausen im Triumph durch viele Städte. Er liebte diese anstrengenden Tourneen. Jeden Tag eine andere Stadt, ein anderes Publikum. Als er im Alter von 78 Jahren in Berlin starb, schrieb Friedrich Luft:

„Diesen, schien es immer, liebten die Götter. Und wen die Götter lieben, dem müssen auch die Menschen anhängen. Ernst Deutsch hatte das, was Charisma genannt wird. Er war ein Mensch der heiteren Würde und war ein Darsteller, der Abgründe aufreißen, sie deutlich zeigen konnte – und zugleich sorgen, dass man sich nicht in ihnen verliere. Ernst Deutsch lebte ein leuchtendes Leben. “ 

Text: Gerold Ducke; Fotos: Erika Babatz
Auszug aus ihrem Vortrag „Friedhof der Schauspieler, Zweiter Akt“, gehalten Im Rahmen der Vortragsreihe des Vereins für die Geschichte Berlins am 16. September 2015.