Bürger, Mäzen und Unternehmer.
Erinnerung an James Simon (1851-1932)
Von Wolther von Kieseritzky
Nach längerer Zeit der Vergessenheit erlebt derzeit einer der bedeutendsten Berliner Mäzene seine öffentliche Wiederentdeckung. Dies ist zunächst erstaunlich, liegen doch weder Jubiläen noch Jahrestage vor, die üblicherweise den Anlaß wieder auflebender Erinnerung bieten. Nun wurden im vergangenen Jahr 2006 zwei Gedenktafeln an den früheren, nicht mehr vorhandenen Wohnorten Simons enthüllt, eine kleine Ausstellung mit Kopien berühmtester Grabungsfunde, die Simon den Museen geschenkt hat, eröffnet, zahlreiche Artikel in der Presse publiziert sowie ein opulent gefertigtes Buch veröffentlicht. [1]
Hinzu kommt die geplante „James-Simon-Galerie“ auf der in den nächsten Jahren neu zu gestaltenden Museumsinsel. Die Gedenktafel in der Tiergartenstr. 15a, in der Simon von 1886- 1927 lebte (im heutigen Neubau die Landesvertretung von Baden-Württemberg), wurde von einem Berliner Honoratiorenkreis – Freundeskreis James Simon – gestiftet, die Tafel der Königlichen Porzellan-Manufaktur in der Kaiserallee 23 (heute Bundesallee mit Travertin-verkleidetem Bürobau) vom Verband der Berliner Stadtführer e.V., nach einer zuvor erfolgten Spendensammlung unter den Berliner Bürgern. [2]
Derartige Ehrungen wurden dem 1851 in eine jüdische Mittelstandsfamilie – der Vater besaß ein Herrengarderobengeschäft – geborenen künftigen Mäzen nicht einmal zum 50. Geburtstag im Jahr 2001 zuteil. [3]Die größte Aufmerksamkeit für Simon liegt allerdings noch länger zurück: Nach der Jahrhundertwende, als Simon mit seiner inzwischen weltumspannenden Baumwollhandlung zum Großunternehmer aufgestiegen war und sein soziales und kulturelles Engagement ein gewaltiges finanzielles Ausmaß angenommen hatte, versah ihn die wilhelminische Gesellschaft mit höchsten Orden und Auszeichnungen – vom preußischen Wilhelm-Orden und der Leibniz-Medaille der Akademie der Wissenschaften bis zum – zusammen mit Max Liebermann verliehenen – Ehrendoktorat anläßlich der Hundertjahrfeier der Berliner Universität. Nach 1933 war dann das Gegenteil der Fall; mit Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft wurde die Erinnerung an den jüdischen Philanthropen getilgt, was er, bereits 1932 verstorben und auf dem jüdischen Friedhof an der Schönhauser Allee beigesetzt, nicht mehr erleben mußte – wohl aber seine Familie. Nach 1945 wiederum hatte die deutsche Gesellschaft, wie in so vielen Fällen, nur geringes Interesse an seiner Rehabilitation.
Insofern stellt sich die Frage, welche Motive und Perspektiven sich mit der heutigen „Renaissance“ des Gedenkens an Persönlichkeit und Leistungen James Simons verknüpfen. Es deutet auf ein grundlegendes Bedürfnis der Gesellschaft, wenn seit geraumer Zeit die Fragen von Verantwortung und bürgerschaftlichem Engagement zunehmend ernsthafter diskutiert werden. Ist die Kommune arm und die Zukunft ungewiß, sind reiche Philanthropen gesucht. Da sich diese in der traditionell nur schwer beeindruckbaren Berliner Gesellschaft nicht ohne weiteres aufdrängen, mag James Simon exemplarisch zur Wiederbelebung dieser seltenen, fast ausgestorben scheinenden Spezies dienen. [4]
Und in der Tat: Mit seiner Symbiose von Bildung und Besitz verkörpert James Simon in geradezu idealtypischer Weise klassische Ausprägungen einer sich liberal und gemeinorientiert verstehenden Bürgerlichkeit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Bei ihm kommt noch ein Weiteres hinzu, das auch innerhalb seiner eigenen Schicht ungewöhnlich war: das Ausmaß seines philanthropisch orientierten Engagements auf sozialem und kulturellem Feld.
Der Lebensweg der Simons ist in vielem charakteristisch für die wachsende Großstadt und die Aufstiegskarrieren eines Teils der jüdischen Familien im 19. Jahrhundert. Mit den, auch in seiner Familie tradierten, Bildungsidealen seiner Zeit wurde der gebürtige und zeitlebens seiner Stadt treu gebliebene Berliner auf dem Gymnasium zum Grauen Kloster vertraut. Die wirtschaftliche Basis seines späteren Mäzenatentums bot ihm die väterliche Firma in der Klosterstr., die nach der Jahrhundertwende unter der Leitung der Brüder James und Eduard Simon zeitweise zu den größten Unternehmungen ihrer Art in Deutschland gehörte. Angesichts der 40 Mio. Meter Baumwolle, die er um 900 jährlich umsetzte, sprach man in Berlin schon von legendären „Äquatorbestellungen“ – was die Tuchmanufaktur von Andreas Kraut für das friderizianische Berlin, war für das Berlin der Kaiserzeit die Simonsche Baumwollgroßhandlung.
Ebenso charakteristisch wie der Aufstieg der Firma war aber auch deren Niedergang nach dem Ersten Weltkrieg, insbesondere in der Inflationszeit 1923, die den teilweisen Zusammenbruch der Firma besiegelte. Diese Schwierigkeiten sowie der Tod seiner Frau Agnes, Tochter des Textilunternehmers und preußischen Landtagsabgeordneten Reichenheim, veranlaßten Simon schließlich, die väterliche Villa in der Tiergartenstraße aufzugeben und 1927 die Wohnungsetage in der Kaiserallee in Wilmersdorf zu beziehen. Hier verstarb er 1932 nach Krankheit.
Seine Schenkungen legten den Grundstock für zahlreiche Museen, die noch heute das Profil der Berliner Kulturlandschaft prägen. Dazu gehören das Ägyptische Museum (Nofretete, der „Grüne Kopf“), die Sammlungen der Gemäldegalerie, des Ostasiatischen Museums, des Vorderasiatischen Museums, der Skulpturensammlung und der Deutschen Volkskunde. Simon beschränkte sich dabei nicht auf die Funktion als Geldgeber, sondern förderte aktiv den Aufbau der Museen und Sammlungen – herausragend etwa sein Anteil an der Sicherung des Volkskundemuseums, der Ausgestaltung des Kaiser-Friedrich-Museums oder den Ausgrabungen der von ihm mitbegründeten Deutschen Orientgesellschaft in Babylon, Tell el-Amarna und Assur. Auch die Wissenschaften genossen seine Aufmerksamkeit; er gehörte 1910 zu den ersten, die Mittel für die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft bereitstellten. Weniger bekannt ist das soziale Engagement Simons, obwohl dies von großer Bedeutung war: Seine Anstrengungen zielten hier insbesondere auf Kinder und Jugendliche, die von den sozialen und hygienischen Folgen der explosionsartig wachsenden Stadt besonders betroffen waren. In zahlreichen Vereinen, die Zahl wird auf 60 bis 70 geschätzt [5], setzte sich Simon persönlich und finanziell für die Errichtung von Volksbädern[6], die Schulerziehung oder den Bau von Erholungsstätten für kranke Kinder ein.
Hinzu kamen Ämter und Vereinsförderungen innerhalb der jüdischen Gemeinde, etwa der Armenkommission. Im 1899gegründeten Verein zum Schutz der Kinder vor Mißhandlung und Ausnutzung finanzierteer die Betreudung von in Not geratenen Jugendlichen, wozu auch das Haus Kinderschutz in Berlin-Zehlendorf gehörte; im Verein für Ferienkolonien wurden Schüler- und Wanderfahrten in neu errichtete Heime veranstaltet; im Verein für Volksunterhaltungen organisierte er in Philharmonie und Schauspielhaus erstmalig Theater- und Konzertveranstaltungen für weniger betuchte Menschen. Die Reihe ließe sich fortsetzen. In seinem Habitus erweist sich Simon somit der zeitgenössischen bürgerlichen Sozialethik verbunden, wie er auch in politischer Hinsicht freisinnig-liberal votierte.
Der für einen Teil des Bürgertums charakteristische Schritt, einen nicht unerheblichen Teil des eigenen Kapitals für die allgemeine kulturelle Förderung zu verwenden, ging für Simon mit einer zumindest partiellen gesellschaftlichen Anerkennung einher, die Juden sonst versagt blieb. Nachdem er 1904 seine Renaissance-Sammlung dem Kaiser-Friedrich- Museum zugesagt hatte, suchte Kaiser Wilhelm II. den Mäzen erstmals in seiner Tiergartener Villa auf. Die Presse resümierte die Bedeutung eines solchen Besuchs: „’Kaisers’ bei sich gehabt zu haben – das gilt im gesellschaftlichen Leben der Reichshauptstadt für die höchste ‚Weihe’. Wen der Kaiser in seinem Haus beehrte, der ist im höchsten Grade gesellschaftsfähig. Bei dem verkehrt nun auch der Hochadel, der Generalstab, der sieht nun auch Minister und Prinzen bei sich zu Gast.“ [7] Aus alldem machte sich Simon allerdings nur wenig. Er strebte nicht nach öffentlichen Ehren, sondern versuchte, der disparaten Gesellschaft im Kaiserreich mittels sozialer und kultureller Förderung integrative Kraft zu geben. Beides, Bildung zu ermöglichen und die nötige Hilfe zur Selbsthilfe zu gewähren, waren für ihn grundlegende Voraussetzungen für den Aufstieg des einzelnen und das Wohl der Gesellschaft.
Anschrift des Verfassers:
Dr. Wolther von Kieseritzky, Bozener Str. 8, 0825 Berlin
Anmerkungen:
1 Bernd Schultz (Hrsg.): James Simon. Philanthrop und Kunstmäzen, München u.a. 2006 (Prestel Verlag).
Artikel erschienen in allen Berliner Tageszeitungen sowie in Die Zeit. Die Ausstellung fand in der Landesvertretung
Baden-Württemberg in der Tiergartenstr. statt.
2 In der Tiergartenstr. lautet die Widmung der Tafel, die ein von Johannes Grützke gefertigtes Kopfrelief trägt: „Mäzen, Wohltäter, Patriot und jüdischer Weltbürger. Ihm verdanken die Berliner Museen die Nofretete und andere unermeßliche Schätze. Er gründete die erste Volksbadeanstalt, förderte die Bildung breiter Schichten und half den sozial Schwachen. Er stand für einen Gemeinsinn, der 1933 gewaltsam zerstört wurde.“ Kürzer die Inschrift der Tafel in der Bundesallee: „Hier lebte von 1927 bis 1932 der Berliner Kaufmann, Mäzen und Förderer sozialer Einrichtungen James Simon. Er schenkte den Berliner Museen seine Kunstsammlungen, darunter die aus einem Grabungsfund in Ägypten stammende Büste
der ‚Nofretete’.“
3 Allerdings gab es zwei wichtige Publikationen: Die fundierte, zuverlässige Biographie von Olaf Matthes: James Simon. Mäzen im Wilhelminischen Zeitalter, Berlin 2000 (Bostelmann & Siebenhaar), sowie von den Staatlichen Museen: James Simon. Sammler und Mäzen für die Staatlichen Museen zu Berlin, Berlin 2001.
4 Welche Dimensionen Mäzenatentum und Philanthropie zur Zeit haben, ist Gegenstand der historischen Forschung. Instruktiv das Interview der Projektleiterin und Historikerin Gabriele Lingelbach zur „neuen deutschen Lust an der Philanthropie“ in: Der Spiegel, 9. Februar 2006.
5 Matthes: Simon, S. 107.
6 1880 gehörte Simon zu den Gründern des Vereins für Volksbadeanstalten, seit 1993 erinnert eine Gedenktafel am Stadtbad Mitte in der Gartenstr. an Simon.
7 Saale-Zeitung, zit. nach: Matthes: Simon, S. 72.