Erich Schellow (1915-1995): Die große Kränkung
(Friedhof Wilmersdorf, Berliner Straße, 81-103, Abt. D4-39)

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Von Anton Tschechow gibt es einen Einakter, der Schwanengesang heißt. Darin wird ein alter Mime versehentlich im Theater eingeschlossen und blickt zurück auf sein langes Theaterleben. Eine ideale Altersrolle auch für Erich Schellow. Doch drei Wochen vor der geplanten Premiere im Dezember 1993 erlitt er einen schweren Herzinfarkt, von dem er sich nicht mehr erholte.

Der Name Erich Schellow steht für die alte Westberliner Theaterseligkeit, für Schiller- und Schlossparktheater, deren Glanz und Ausstrahlungskraft in den 1970er Jahren allerdings verblassten. Nicht nur wegen der Schaubühne. Berlin (West) war im geteilten Nachkriegsdeutschland nicht mehr die Theaterhauptstadt. Städte wie Hamburg, Düsseldorf, Frankfurt, Köln, Bremen waren mindestens gleichrangig, wenn nicht gar überlegen.

Erich Schellow hielt Berlin die Treue. Er war auf den Staatlichen Schauspielbühnen ein viel umschwärmter Star, auch wenn er es nicht sein wollte. Er brauchte sein vertrautes Ensemble. Selten hat er anderswo gastiert oder Rollen bei Film und Fernsehen angenommen, Interviews gab er so gut wie gar nicht. Sein Privatleben ging nur ihn etwas an. Nach seinem Tod schrieb der Spiegel:

„In dem halben Dutzend großer Schauspieler, die 50 Jahre lang die Theatergeschichte West-Berlins geprägt haben, war er der ewige Jüngling, der deutsche Held schlechthin: groß, blond, strahlend blauäugig, mit heller Stimme und aristokratischer Eleganz. Die Kleist-Helden waren seine Sache, aber auch Hamlet; früh Goethes Faust und später Mephisto; im Gang der Jahrzehnte erst Don Carlos, dann der Marquis von Posa, später König Philipp und endlich der Großinquisitor: zu seiner besten Zeit war das Schiller Theater stets auch ein Schellow-Theater. Er war so sehr Klassiker-Star, dass er erst in der zweiten Hälfte seiner Karriere zu den zerrissenen, gebrochenen, exzentrischen Charakteren der Moderne fand, und er blieb bis zuletzt ein Meister des Verses, der hohen geschlossenen Form.“

Schellow liebte das gesteigerte Theater, die großen Partituren, die er in Zeitstücken vermisste. Erst ein junger amerikanischer Dramatiker namens Edward Albee musste kommen, damit Schellow zeigen konnte, was noch in im steckte. Wer hat Angst vor Virginia Woolf? ist inzwischen, wie Strindbergs Totentanz, ein Klassiker aus der Hölle des verheirateten Lebens. Ein so wunderbares wie schreckliches Stück Theater. Die deutsche Erstaufführung 1963 im Schlosspark-Theater wurde ein großer Abend, denn Martha und George, das Ehepaar auf Höllenfahrt, wurden kongenial verkörpert von Maria Becker und Erich Schellow. Beide durch klassische Rollen geprägt, Repräsentanten des hohen Stils. Der Kritiker Siegfried Melchinger schrieb:
„Ich wage den Satz, dass nur zwei Schauspieler, die den Umgang mit großen klassischen Rollen gewöhnt sind, in die Tiefen niedertauchen können, die Albee unter der Oberfläche der Party-Existenz aufreißt. Nur wer die Dimension der Höhen erkundet hat, vermag mit der gleichen Unbedingtheit in die Dimension der Tiefe zu stürzen.“  

Zwei Jahre später (1965) war Schellow (im Schiller-Theater) der Protagonist in Arthur Millers Drama Nach dem Sündenfall. Die Bewusstseinskrise und große monologische Selbstentblößung eines linken Intellektuellen, hinter dem unschwer Arthur Miller zu erkennen war, der seit mehr als acht Jahren kein Stück mehr geschrieben hatte und von dem das Publikum nach der Ehe mit Marilyn Monroe und deren Selbstmord aufregende Enthüllungen erwartete. Stattdessen bekam es moralische Reflexionen über individuelle Schuld und Verantwortung. Kein einfaches Stück also, auch von der Form her, da alles sich im Bewusstsein, in den Gedanken und Erinnerungen dieses einen Mannes abspielt, des Rechtsanwalts Quentin, den in Berlin Erich Schellow verkörperte. „Unübertrefflich“, urteilte Friedrich Luft. „Er holt, wie tatsächlich aus seiner Erinnerung und seinem verletzten Gewissen, die Gestalten seiner Umwelt heraus. Er hat zauberische Qualitäten, ohne je zu ‚zaubern’. (…) Wie er das macht, hat kaum Vorbilder, ist von einer intelligenten Instanz und Trauer, die nicht nachlässt zu beteiligen und zu rühren. Schellow ist auf ganz nüchterne Weise phantastisch. Besser wäre dies nicht spielbar.“  

Die Schließung des Schiller-Theaters nach der Wiedervereinigung im Sommer 1993 hat Schellow getroffen wie keinen anderen. Er protestierte, ging mit Kollegen auf die Straße, klagte gegen seine Kündigung – alles erfolglos. Zwei Jahre später war er tot. Bei der Trauerfeier auf dem Wilmersdorfer Friedhof fielen deutliche Worte. Maria Becker (2012 verstorben), die mit ihm in Wer hat Angst vor Virginia Woolf? Triumphe gefeiert hatte, sagte:

"Die brutale Auflösung des Schiller-Theaters hat Erich Schellow nie verwunden. Schließlich erhielt der Lieblingsschauspieler von Fritz Kortner und Willi Schmidt ein Kündigungsschreiben wie ein überflüssiges Dienstmädchen."

Text: Gerold Ducke; Fotos: Erika Babatz
Auszug aus ihrem Vortrag „Friedhof der Schauspieler, Zweiter Akt“, gehalten Im Rahmen der Vortragsreihe des Vereins für die Geschichte Berlins am 16. September 2015.