Paul Wegener (1874-1948)
Grabstätte: Waldfriedhof Heerstraße, Trakehner Allee, Feld 4-B, Ehrengrab
Wegener hätte nach dem Abitur am liebsten Kunstgeschichte studiert, aber sein Vater bestand auf Jura. Kunstgeschichte bleibt seine lebenslange Leidenschaft. Als er in Kolmar den Isenheimer Altar sieht, beschließt er sein Leben zu ändern und zum Theater zu gehen. Seine Bühnenlaufbahn begann 1895 in Rostock. Wegener ist ein Draufgänger, nicht nur auf der Bühne. Seinetwegen geht eine Ehe in die Brüche. Er wird wegen „sittlicher Verfehlungen“ vom Theater entlassen, muss heiraten und ist noch nicht einmal 21 Jahre alt. Vor ihm liegen grauenvolle Jahre, in der Provinz, mit Frau und Kind, in möblierten Zimmern, und mit ständigen Geldsorgen. Seine erste Scheidung erlebt er mit 25 Jahren. Alles in allem wird er es auf fünf Eheschließungen bringen.
Eine wichtige Etappe seiner künstlerischen Entwicklung ist Hamburg, wo er Richard III., Shylock, Mephisto und Franz Moor spielt. Hier entdeckt ihn ein Talentsucher Max Reinhardts, der ihn 1905 ans Deutsche Theater engagiert, wo Wegener mit großem Erfolg Shakespeares Bösewichter und andere Kanaillen spielt. Er wird bewundert als die Synthese von Muskeln und Nerven, Kraft und Sensibilität. Alfred Polgar schreibt:
„Wort bricht aus diesem Munde wie das Tier aus der Höhle.“ Und Siegfried Jacobsohn über seinen Othello: „Ein Naturereignis, gemildert durch Intelligenz.“
Im Gedächtnis geblieben ist Paul Wegener aber vor allem als Filmpionier, der als einer der Ersten die künstlerischen Möglichkeiten des neuen Mediums erkannte. “Die geheimnisvollen Möglichkeiten der Kamera erhitzten meine Phantasie“, erzählt er, „Das Objektiv ist schärfer als das menschliche Auge. Der eigentliche Dichter des Films muss die Kamera sein.“
Nur der Film konnte die Phantasien seines Lieblingsdichters E.T.A. Hoffmann über verlorene Spiegelbilder und unheimliche Doppelgänger in Bilder verwandeln. Wegeners erster Film Der Student von Prag (1913) nach einer Geschichte von Hanns Heinz Ewers im Geiste Hoffmanns, gilt als die Geburtsstunde des künstlerischen Films in Deutschland. 1920 produzierte und spielte er den Golem, die mythologische Tonfigur des Rabbi Löw aus dem mittelalterlichen Prager Ghetto. Der Film ist ein Riesenerfolg, auch in den USA, und Wegener gründet 1923 eine eigene Filmproduktion, produziert den Film Lebende Buddhas. Ein Misserfolg, der ihn sein Vermögen kostet. Er hat danach nie wieder einen Film produziert.
Wegener war ein leidenschaftlicher Sammler asiatischer Kunst und hielt Vorträge über östliche Weisheitslehren. Vielleicht hat seine philosophische Orientierung ihm über die Zeit des Nationalsozialismus hinweggeholfen. Er unternahm in diesen Jahren viele Theatertourneen und gehörte zu Heinrich Georges Ensemble am Schiller-Theater in Charlottenburg, mit dem er sich zerstritt, weil er ihn nicht den Lear spielen ließ.
Sein Haus in der Binger Straße in Wilmersdorf mit seiner wertvollen Kunstsammlung überstand den Krieg. Wegener war in der Sowjetunion kein Unbekannter und stand deshalb unter dem besonderen Schutz der Roten Armee. Die sowjetische Besatzungsmacht erlaubte ihm auch wieder aufzutreten und machte ihn zum Präsidenten der neu gegründeten Kulturkammer. Als im sowjetischen Sektor am 7. September 1945 das Deutsche Theater wiedereröffnet wurde, mit Lessings Nathan dem Weisen, der klassischen Parabel über Humanität und Toleranz, spielte Paul Wegener die Titelrolle. Seinen Wunsch nach dem Lear allerdings erfüllte ihm auch das Deutsche Theater nicht. Seine letzte Rolle war 1946 der Großvater in John Osbornes Tod im Apfelbaum (Galgenfrist), im Hebbeltheater, im Westsektor Berlins. Am 11. Juli 1948 stand er als Nathan zum letzten Mal auf der Bühne. Die Vorstellung musste nach einem Schwächeanfall abgebrochen werden.
Das Grab Wegeners © Erika Babatz 2014
Paul Wegener starb am 13. September 1948 (in der Charité) nach einem Schlaganfall. Seiner Urne wurde ein Marmorbuddha aus seinem Garten beigegeben, der den sanften Löwen führt. Heute steht auf dem Grab eine Kopie des beschädigten Originals. Sie erinnert an seine Liebe zur asiatischen Kunst und Philosophie.
Text: Gerold Ducke; Fotos: Erika Babatz
Auszug aus ihrem Vortrag „Friedhof der Schauspieler“, gehalten Im Rahmen der Vortragsreihe des Vereins für die Geschichte Berlins am 3. September 2014