Zu Beginn des Jahres lasen die Mitglieder in den Mitteilungen des Vereinsvorsitzenden:
„In unsern Verein kann ich Herren nur dann als Mitglieder aufnehmen, wenn sie nach dem Reichsbürgergesetz nicht Juden sind. Daher sind die wenigen jüdischen Mitglieder ausgeschieden. Sollte unter den Empfängern dieses Blattes noch jemand sein, der nach dem Reichsbürgergesetz als Jude gilt, so ist auch er als ausgeschieden anzusehen und ich bitte ihn, mich schriftlich zu benachrichtigen...." [20]
Entsprechend wurde auf die Tagesordnung der Vorstandssitzung vom 20. Februar 1937 Die Judenfrage gesetzt. Ein Protokoll der Sitzung ist nicht überliefert, wie überhaupt nur wenige Sitzungsprotokolle aus der NS-Zeit erhalten sind. Bei Neuaufnahmen achtete Kügler penibel auf die Einhaltung der Vorschriften. Auf der Postkarte mit seiner Beitrittserklärung schrieb der Universitätsprofessors im Ruhestand Dr. phil.Wolfgang Stammler: „Für meine arische Abstammung genügt ihnen vielleicht, dass ich Scharführer in der SA bin. Sonst stehen die anderen Dokumente zur Verfügung. Heil Hitler!"
Eine Liste der wegen ihrer jüdischen Abkunft insgesamt ausgeschlossenen Mitglieder war nicht aufzufinden. So kann neben den schon genannten Namen nur der Bankkommissionär Selmar Salinger (Mitglied seit 1928) erwähnt werden, der auch nach dem Kriege bis zu seinem Tode 1961 wieder im Verein war. Bereits vorher ausgeschieden war der liberale Rabbiner Dr. Martin Salomonski (Mitglied seit 1929). Der von 1930 bis 1934 in der „Liberalen Synagoge Norden" tätige Rabbiner amtierte später von 1939 bis 1940 in der Neuen Synagoge. Er wurde 1942 nach Theresienstadt deportiert und 1944 in Auschwitz ermordet [21]
Anfang des Jahres 1937 sah sich der jüdische Kunsthändler Paul Graupe (Mitglied seit 1928) zur Emigration nach Paris gezwungen. Bis 1936 konnte er noch als Kunstauktionator wirken, weil das NS-Regime in den ersten Jahren nicht auf seine weitreichenden Kontakte verzichten wollte.[22]
Die Vereinsmitglieder erhielten Heft 56 der Schriften, Willy Barks „Chronik von Alt – Westend". Durch das Gesetz über die Neuregelung der Verfassung und Verwaltung trat ab 1937 der Oberbürgermeister und Stadtpräsident an die Spitze der Stadt. Der bisherige Staatskommissar Dr. Lippert war nunmehr sowohl Führer der Gemeinde als auch Leiter der staatlichen Verwaltung. Traditionsgemäß wurde Lippert als Oberbürgermeister nunmehr auch Mitglied des Vereins. Vom Chefredakteur des NS-Kampfblattes „Der Angriff" über den Posten des Fraktionsführers der NSDAP in der Stadtverordnetenversammlung und über den Staatskommissar in der Hauptstadt hatte er nunmehr die einflussreichste Position in der Berliner Verwaltung erreicht. Bereits im März 1933 hatte er die Entlassung aller jüdischen Ärzte aus den Berliner Krankenhäusern angeordnet und 1934 die Stadtverordnetenversammlung durch einen Gemeinderat von 45 Ratsherren ersetzt, vom Berliner Gauleiter Joseph Goebbels ausgesucht und mit nur geringen Entscheidungskompetenzen ausgestattet. Lippert legte sich später über Fragen der Stadtentwicklung mit Albert Speer an und wurde 1940 seines Postens enthoben. Damit endete auch seine Mitgliedschaft im Verein. Er starb 1956 in Bad Schwalbach.
Zur 700- Jahr –Feier Berlins im August 1937 erschien Heft 3 der Vereinszeitschrift als Festschrift mit elf Aufsätzen. Die offizielle Festschrift der Stadt verfassten die Mitglieder Max Arendt, Eberhard Faden und Otto-Friedrich Gandert. Bei der Eröffnung der Herbst-Vortragsreihe am 9. Oktober 1937 begrüßte Kügler die Zuhörer wie folgt:
„...Das deutsche Schicksal hat immer über Tiefen und Höhen geführt und wir leben und werden weiter bestehen! Mit stolzer Trauer denken wir deswegen heute an den 30. Geburtstag von Horst Wessel, dem Mitkämpfer des Gauleiters von Berlin, Dr. Joseph Goebbels. 45 Männer und Jünglinge haben in Berlin ihr Leben für ein neues Vaterland der Ehre und der Freiheit von fremden Bedrückern geopfert. Es geht immer durch Nacht zum Licht, und uns diesen Weg zu führen, vertrauen wir dem Führer!...Ich bitte Sie, mit mir einzustimmen in den Ruf: Unserem Führer , unserem Vaterland und unserer Stadt Berlin – Sieg Heil!"[23]
In dieser Zeit, Oktober 1937, schied Ernst Kaeber auf eigenen Wunsch aus dem Vorstand aus. Wilhelm Schuster, Direktor der Stadtbibliothek (Mitglied seit 1935) wurde neuer Schriftleiter, während sich Kügler die Herausgabe der Vereinszeitschrift vorbehielt. Neuer Vereinsarchivar wurde der Kriminalkommissar Dr. Herbert Sommerfeld, Leiter des Referats Kriminalforschung beim Reichs-Kriminalpolizeiamt.
Zu den neuen Mitgliedern gehörten Dr. Paul Ortwin Rave, Kustos an der Nationalgalerie (nach dem Krieg Direktor der Kunstbibliothek und der Nationalgalerie), Arnold und Dr. Conrad Borsig und der Reichsbeamtenführer Hermann Neef (seit 1923 Mitglied der SA, 1933 Gründer des Reichsbundes der Deutschen Beamten, nach 1945 Regierungsrat a.D. in Berlin).
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Auch der Architekt und Stadtplaner Rudolf Wolters wurde Vereinsmitglied. Albert Speer hatte ihn im Beitrittsjahr zum Leiter der Abt. I.3 im Hauptamt I (Planungsstelle) seiner Behörde Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt bestimmt. Er war damit zuständig für die Planungen der Nord-Süd-Achse, der Verkehrsringe und Museen. Gleichzeitig schrieb er als Pressereferent des Generalbauinspektors Aufsätze und Verlautbarungen. Goebbels ernannte ihn 1940 zum Ausstellungskommissar für verschiedene Architekturausstellungen im Ausland. 1943 machte Speer seinen Freund Wolters zum Leiter des Wiederaufbaustabes bombengeschädigter Städte. Nach dem Kriege gründete Wolters ein Architektenbüro in Höxter und Coesfeld. Er sammelte die aus dem Gefängnis in Spandau herausgeschmuggelten Kassiber seines ehemaligen Vorgesetzten Speer, die zur Grundlage der später publizierten Erinnerungen wurden, Wolters starb 1983.
Schließlich ist als neues Mitglied der Pfarrer Karl Themel zu nennen, Archivar der evangelischen Landeskirche. Um die Erteilung von Auskünften zur Erstellung der „Ariernachweise" zu rationalisieren, legte er seit 1936 aus den Eintragungen in den Berliner Taufbüchern eine „Fremdstämmigen-Kartei" an und informierte gleichzeitig die Reichsstelle für Sippenforschung. Er leistete damit Hilfe bei der Feststellung von Christen jüdischer Abkunft, da die staatlichen Behörden lediglich über die Daten der ab 1875 neu eingerichteten Standesämter verfügten. So wurden 2612 Fälle von Personen jüdischer Abstammung in der Kirchenbuchstelle Alt-Berlin ermittelt und gemeldet.[24] Themel starb 83jährig 1973 als Konsistorialrat. Ein Nachruf bezeichnete ihn ohne Berücksichtigung seiner verhängnisvollen früheren Aktivitäten als aufrichtigen Christen, beliebten Pfarrer und hervorragenden Kirchenhistoriker.[25]
Das Ehrenmitglied Professor Dr. Johannes Bolte (Mitglied seit 1925), Philologe, Mitglied der Akademie der Wissenschaften und Vorsitzender des Vereins für Volkskunde, verstarb im 79. Lebensjahr, ebenso Henry Benecke (Mitglied seit 1929). Als Inhaber der angesehenen Buch- und Kunsthandlung Amelang in der Kantstr. 164 verkaufte er noch nach 1933 an vertrauenswürdige Kunden „unerwünschte" Literatur. 1935 wurde er vom Bund Reichsdeutscher Buchhändler zum Verkauf seines Geschäftes aufgefordert:
„Im Zug der Ausschaltung jüdischer bzw. nichtarischer und damit versippter Persönlichkeiten aus buchhändlerischen Betrieben wird auch ihr Austritt aus dem Bund Reichsdeutscher Buchhändler in nächster Zeit notwendig sein. Um Ihnen jedoch die Möglichkeit einer selbständigen Disposition zu verschaffen, weisen wir Sie hierdurch zunächst auf diese nahe bevorstehende Maßnahme hin und bitten Sie , uns mitzuteilen, bis zu welchem kürzesten Termin Sie den Verkauf Ihrer Firma an eine geeignete arische Persönlichkeit oder die Liquidation Ihres Unternehmens vornehmen können.[...]."
Zahlreiche NS-Zeitungen polemisierten gegen die liberalen Buchhandlungen des Berliner Westens. Der Sohn Hans Benecke legte seine Erinnerungen an diese schwere Zeit 1995 im Buch „Eine Buchhandlung in Berlin" nieder. Ihm zufolge war es noch drei bis vier Jahre lang möglich, bestimmte Titel von ausländischen Verlagen zu beschaffen oder aus der Leihbücherei abzugeben.[26]