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Allgemeine Fragen zur Geschichte Berlins

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Re: Berliner Gesichter 05 Nov 2010 11:03 #1288951393

  • martin mende
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Liebe Frau Lose,
die auf unserer Website veröffentlichten Porträts stammen aus vier Alben, die im 19. Jh. vom Verein angelegt wurden nach einer Aufforderung an die Mitglieder, ein Foto für das Vereinsarchiv einzusenden. Nur ein Teil der Mitglieder ist dem Aufruf gefolgt. Ihre Annahme ist falsch, es handele sich um ausgewiesene Historiker. Es sind mit wenigen Ausnahmen Laien, die sich lediglich für die Geschichte der Stadt Berlin interessierten und Anteil nehmen wollten an der weiteren Entwicklung ihrer Heimat. Linus Beger hat ausführlich die Rolle der Frauen im 19. Jh. und im Anfang des 20. Jh. beschrieben. So taten sich auch die Mitglieder des Vereins für die Geschichte Berlins schwer, die Mitgliedschaft von Frauen in Erwägung zu ziehen. Bei den gesellschaftlichen Veranstaltungen und den öffentlichen Vorträgen des Vereins waren sie willkommen, der Entschluss zur Öffnung des Vereins auch für Frauen kam erst während des II. Weltkrieges auf. Auf der ordentlichen Hauptverssmmlung des Vereins am 10. Januar 1942 im Deutschen Dom wurde von den anwesenden 40 Mitgliedern eine Satzungsänderung angenommen, wonach auch deutsche Frauen Mitglieder werden konnten. Der Schriftführer Dr. Schuster schrieb in seinem Bericht über das Geschäftsjahr 1942 im Beiblatt zur Zeitschrift des Vereins für die Geschichte Berlins Nr. 1/1943: "Von einigen kleinen Satzungänderungen sei als die wichtigste erwähnt, dass (§ 5, Abs. 2) nunmehr auch Frauen als Mitglieder zugelassen sind, womit die Leistung weiblicher Gelehrter für die Geschichte Berlins anerkannt wird. Der Krieg, der die Arbeit unserer Frauen auf so zahlreichen Gebieten des öffentlichen Lebens deutlich gemacht hat, erwies sich auch hier als Beseitiger hartnäckiger Vorurteile."
Die Satzungsänderung wurde mit 27 Stimmen gegen 7 Stimmen bei 6 Enthaltungen angenommen.
Die Fontane-Kennerin Dr. Jutta Fürstenau trat 1942 als erste Frau in den Verein ein. Anfang 2010 hatten wir 254 weibliche Mitglieder.
Mit freundlichen Grüßen

Martin Mende
Archivar des Vereins für die Geschichte Berlins e. V.

Re: Berliner Gesichter 04 Nov 2010 20:27 #1288898846

  • Linus Beger
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Sehr verehrte Frau Lose,

die Antwort auf Ihren Beitrag müßte vielschichtig ausfallen; ein eindimensionaler Versuch möge bitte mit Nachsicht aufgenommen werden.

Der Grund, weshalb in der hiesigen Photogalerie keine Frauen erscheinen, liegt in der mangelnden Mitgliedschaft von Frauen im „Verein für die Geschichte Berlins“ in den ersten Jahrzehnten nach 1865 begründet. Diese Tatsache läßt sich heute nicht mehr ändern; eine Rechtfertigung, die vorhandenen Bilder von Männern zu unterdrücken, wäre es nicht.

Worauf die Nichtteilnahme von Frauen beruhte, ist allerdings ein gewisses Rätsel. Schon vor der Reform des Vereinsrechts im Jahre 1908 war bekanntlich Frauen die Beteiligung an nichtpolitischen Vereinen gestattet. Es war daher kein staatlich erzwungener Ausschluß vom Verein, sondern eine gesellschaftliche Zurückhaltung, die auf grundsätzlichen Verhaltensmustern und Rollenverständnissen beruht haben dürfte. In der damaligen Öffentlichkeit erschienen Frauen bereits in vielfacher Gestalt; es machte z.B. im gleichen Jahr 1865, in dem der „Verein für die Geschichte Berlins“ gegründet wurde, eine Geschäftsfrau Aufsehen, die erste Vertreterin für Lebensversicherungen in Berlin, der wegen ihrer Schönheit herausragende Vertragsabschlüsse gelangen. Allgemein mußte sich vielleicht erst das nötige intellektuelle Selbstvertrauen auf Seiten der Frauen ausbreiten, wie es in den Worten der Berliner Dichterin Anna Louisa Karsch im Jahre 1764 zum Ausdruck kam: „...es ist die Zagheit und die schaam sich so Tieff untter großen Mustern zu sehen die alle diese wollerzogene frauenzimmer zurückschrökt“. Nicht zu vergessen, der Verein bestand in Preußen, und in diesem Staat mußte man „etwas äußerlich sein oder haben“, wie es Theodor Fontane im Jahre 1880 ausdrückte. Ein tieferes Sachinteresse hätte eine weitere Voraussetzung gebildet, und viele Frauen aus den höheren Gesellschaftsschichten in Berlin waren wohl, wie Karl August Varnhagen von Ense im Jahre 1854 zur Zeit des Krim-Krieges urteilte, „zu dumm und unfähig, um politische Weiber vorzustellen.“ Politische Leidenschaften beiseite gestellt -es hätte auch Emilie Fontane ihren Ehemann auf seinen Wanderungen durch die Mark Brandenburg begleiten können, doch sie tat es nicht. Könnte daran ein Vorwurf geknüpft werden, an wen wäre er zu adressieren? (Am Rande: wie war es bei Fontanes Fußspurenlesern im darauffolgenden Jahrhundert, Hans Scholz und Christian Graf von Krockow?) Erst eine Minderheit der jüngeren, auf einer besseren Erziehung und Ausbildung aufbauenden Frauen war gegen Ende des 19.Jahrhunderts bestrebt, neue Lebensbereiche zu erobern. Die Mehrheit bewegte sich noch in den traditionellen Bahnen des weiblichen Besitzstandes. Bedroht war die Vorherrschaft der Männer in mehrfacher Hinsicht; im Jahre 1890 gründeten in Berlin rund 200 Frauen aus Offiziers- und höheren Beamtenkreisen einen geheimen Bund, der sich der umfassenden Überwachung ihrer Ehemänner widmete, und wäre ein Mann z.B. dabei ertappt worden, nicht eine respektable Sitzung des Vereins für die Geschichte Berlins, sondern ein anrüchiges Tanzlokal besucht zu haben, hätte er zu erwarten gehabt, vor ein Gericht aus Frauen gestellt und Strafen bis hin zu körperlichen Züchtigungen unterworfen zu werden.

Die Schwierigkeiten, welche Frauen in Berlin hatten, sich im akademischen Bereich durchzusetzen, sind zu ersehen aus dem jüngst vom Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien der Humboldt-Universität zu Berlin und von der Projektgruppe Edition Frauenstudium an der Humboldt-Universität zu Berlin herausgegebenen Buch „Störgröße ‚F‘ Frauenstudium und Wissenschaftlerinnenkarrieren an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin 1892 bis 1945“ (Berlin 2010).

Ihre Behauptung, „Historiker“ seien bis auf wenige Ausnahmen „immer Männer“, klingt zunächst einmal sprachlich irreführend. Hätten wir es dann nicht mit Historikerinnen zu tun? Ansonsten kann Ihre Beobachtung empirisch bzw. gefühlt zutreffend sein oder nicht; der entscheidende Punkt ist im Unterschied zur Vergangenheit: ändern läßt sich hieran gegenwärtig und künftig durchaus etwas. Was die von Ihnen angesprochenen Veranstaltungen betrifft, schließt niemand Frauen von der Teilnahme aus, und im Gegenteil sind sie stets sehr gerne und ausdrücklich willkommen.

Die Geschichte der Frauenemanzipation in Berlin ist in vielen Teilen noch nicht geschrieben. Wollen Sie sich nicht den unerforschten Kapiteln widmen?

Denn falls Ihre Auffassung, es gebe in der Berliner Geschichte keine bedeutenden Frauen, ernst gemeint ist, wäre sie –mit Verlaub- nicht wahr (abgesehen davon, inwieweit ‚bedeutend‘ ein Kriterium sein sollte). Der „Verein für die Geschichte Berlins" hat sich relativ früh, wenn auch selten und durch Männer, mit „Frauenthemen“ befaßt; es hielt z.B. der Verleger Ernst Frensdorff (1857-1932) im Jahre 1903 im Verein einen Vortrag über „Die Berlinerinnen im 18ten Jahrhundert“. Eine vertiefte literarische Behandlung hat es erst später gegeben, und sie ist bei weitem nicht erschöpfend; zu verweisen wäre neben den zahllosen Einzelbiographien z.B. auf die Bücher von Gustav Sichelschmidt mit 16 Porträts („Große Berlinerinnen“; Berlin 1972) und Irma Hildebrandt mit 18 Porträts („Zwischen Suppenküche und Salon“; 2.Aufl. Köln 1987), sowie auf die Ausstellung im Berlin-Museum über Berlinerinnen aus drei Jahrhunderten im Jahre 1975. In der Liste von Persönlichkeiten auf der hiesigen Internetseite ist ebenfalls eine Vielzahl von Frauen zu finden. Allumfassend dürfte es schwierig sein, der „Frauenfrage“ in Berlin gerecht zu werden. Einzelne Sachverhalte könnten demgegenüber interessant sein; z.B. das Schicksal des demokratischen Frauenklubs im Jahre 1848, das öffentliche Rauchen von Frauen, die Beteiligung von Frauen an der industriellen Arbeitswelt in der Konkurrenz zu Männern, oder was immer Neugier wecken kann.

Im Jahre 1975 stellte Alice Schwarzer fest: „Nichts, weder Rasse noch Klasse, bestimmt so sehr ein Menschenleben wie das Geschlecht. Und dabei sind Frauen und Männer Opfer ihrer Rollen –aber Frauen sind noch Opfer der Opfer.“ Heute sollte Frauen nichts davon abhalten, ihren Platz selbst zu definieren. Schluß mit dem trübseligen passiven Opferdenken, und herzlich willkommen in der aktiven historischen Forschung!

Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Linus Beger

Re: Berliner Gesichter 04 Nov 2010 20:15 #1288898125

  • Linus Beger
  • Linus Begers Avatar Autor
Sehr verehrte Frau Lose,

die Antwort auf Ihren Beitrag müßte vielschichtig ausfallen; ein eindimensionaler Versuch möge bitte mit Nachsicht aufgenommen werden.

Der Grund, weshalb in der hiesigen Photogalerie keine Frauen erscheinen, liegt in der mangelnden Mitgliedschaft von Frauen im „Verein für die Geschichte Berlins“ in den ersten Jahrzehnten nach 1865 begründet. Diese Tatsache läßt sich heute nicht mehr ändern; eine Rechtfertigung, die vorhandenen Bilder von Männern zu unterdrücken, wäre es nicht.

Worauf die Nichtteilnahme von Frauen beruhte, ist allerdings ein gewisses Rätsel. Schon vor der Reform des Vereinsrechts im Jahre 1908 war bekanntlich Frauen die Beteiligung an nichtpolitischen Vereinen gestattet. Es war daher kein staatlich erzwungener Ausschluß vom Verein, sondern eine gesellschaftliche Zurückhaltung, die auf grundsätzlichen Verhaltensmustern und Rollenverständnissen beruht haben dürfte. In der damaligen Öffentlichkeit erschienen Frauen bereits in vielfacher Gestalt; es machte z.B. im gleichen Jahr 1865, in dem der „Verein für die Geschichte Berlins“ gegründet wurde, eine Geschäftsfrau Aufsehen, die erste Vertreterin für Lebensversicherungen in Berlin, der wegen ihrer Schönheit herausragende Vertragsabschlüsse gelangen. Allgemein mußte sich vielleicht erst das nötige intellektuelle Selbstvertrauen auf Seiten der Frauen ausbreiten, wie es in den Worten der Berliner Dichterin Anna Louisa Karsch im Jahre 1764 zum Ausdruck kam: „...es ist die Zagheit und die schaam sich so Tieff untter großen Mustern zu sehen die alle diese wollerzogene frauenzimmer zurückschrökt“. Nicht zu vergessen, der Verein bestand in Preußen, und in diesem Staat mußte man „etwas äußerlich sein oder haben“, wie es Theodor Fontane im Jahre 1880 ausdrückte. Ein tieferes Sachinteresse hätte eine weitere Voraussetzung gebildet, und viele Frauen aus den höheren Gesellschaftsschichten in Berlin waren wohl, wie Karl August Varnhagen von Ense im Jahre 1854 zur Zeit des Krim-Krieges urteilte, „zu dumm und unfähig, um politische Weiber vorzustellen.“ Politische Leidenschaften beiseite gestellt -es hätte auch Emilie Fontane ihren Ehemann auf seinen Wanderungen durch die Mark Brandenburg begleiten können, doch sie tat es nicht. Könnte daran ein Vorwurf geknüpft werden, an wen wäre er zu adressieren? (Am Rande: wie war es bei Fontanes Fußspurenlesern im darauffolgenden Jahrhundert, Hans Scholz und Christian Graf von Krockow?) Erst eine Minderheit der jüngeren, auf einer besseren Erziehung und Ausbildung aufbauenden Frauen war gegen Ende des 19.Jahrhunderts bestrebt, neue Lebensbereiche zu erobern. Die Mehrheit bewegte sich noch in den traditionellen Bahnen des weiblichen Besitzstandes. Bedroht war die Vorherrschaft der Männer in mehrfacher Hinsicht; im Jahre 1890 gründeten in Berlin rund 200 Frauen aus Offiziers- und höheren Beamtenkreisen einen geheimen Bund, der sich der umfassenden Überwachung ihrer Ehemänner widmete, und wäre ein Mann z.B. dabei ertappt worden, nicht eine respektable Sitzung des Vereins für die Geschichte Berlins, sondern ein anrüchiges Tanzlokal besucht zu haben, hätte er zu erwarten gehabt, vor ein Gericht aus Frauen gestellt und Strafen bis hin zu körperlichen Züchtigungen unterworfen zu werden.

Die Schwierigkeiten, welche Frauen in Berlin hatten, sich im akademischen Bereich durchzusetzen, sind zu ersehen aus dem jüngst vom Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien der Humboldt-Universität zu Berlin und von der Projektgruppe Edition Frauenstudium an der Humboldt-Universität zu Berlin herausgegebenen Buch „Störgröße ‚F‘ Frauenstudium und Wissenschaftlerinnenkarrieren an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin 1892 bis 1945“ (Berlin 2010).

Ihre Behauptung, „Historiker“ seien bis auf wenige Ausnahmen „immer Männer“, klingt zunächst einmal sprachlich irreführend. Hätten wir es dann nicht mit Historikerinnen zu tun? Ansonsten kann Ihre Beobachtung empirisch bzw. gefühlt zutreffend sein oder nicht; der entscheidende Punkt ist im Unterschied zur Vergangenheit: ändern läßt sich hieran gegenwärtig und künftig durchaus etwas. Was die von Ihnen angesprochenen Veranstaltungen betrifft, schließt niemand Frauen von der Teilnahme aus, und im Gegenteil sind sie stets sehr gerne und ausdrücklich willkommen.

Die Geschichte der Frauenemanzipation in Berlin ist in vielen Teilen noch nicht geschrieben. Wollen Sie sich nicht den unerforschten Kapiteln widmen?

Denn falls Ihre Auffassung, es gebe in der Berliner Geschichte keine bedeutenden Frauen, ernst gemeint ist, wäre sie –mit Verlaub- nicht wahr (abgesehen davon, inwieweit ‚bedeutend‘ ein Kriterium sein sollte). Der „Verein für die Geschichte Berlins" hat sich relativ früh, wenn auch selten und durch Männer, mit „Frauenthemen“ befaßt; es hielt z.B. der Verleger Ernst Frensdorff (1857-1932) im Jahre 1903 im Verein einen Vortrag über „Die Berlinerinnen im 18ten Jahrhundert“. Eine vertiefte literarische Behandlung hat es erst später gegeben, und sie ist bei weitem nicht erschöpfend; zu verweisen wäre neben den zahllosen Einzelbiographien z.B. auf die Bücher von Gustav Sichelschmidt mit 16 Porträts („Große Berlinerinnen“; Berlin 1972) und Irma Hildebrandt mit 18 Porträts („Zwischen Suppenküche und Salon“; 2.Aufl. Köln 1987), sowie auf die Ausstellung im Berlin-Museum über Berlinerinnen aus drei Jahrhunderten im Jahre 1975. In der Liste von Persönlichkeiten auf der hiesigen Internetseite ist ebenfalls eine Vielzahl von Frauen zu finden. Allumfassend dürfte es schwierig sein, der „Frauenfrage“ in Berlin gerecht zu werden. Einzelne Sachverhalte könnten demgegenüber interessant sein; z.B. das Schicksal des demokratischen Frauenklubs im Jahre 1848, das öffentliche Rauchen von Frauen, die Beteiligung von Frauen an der industriellen Arbeitswelt in der Konkurrenz zu Männern, oder was immer Neugier wecken kann.

Im Jahre 1975 stellte Alice Schwarzer fest: „Nichts, weder Rasse noch Klasse, bestimmt so sehr ein Menschenleben wie das Geschlecht. Und dabei sind Frauen und Männer Opfer ihrer Rollen –aber Frauen sind noch Opfer der Opfer.“ Heute sollte Frauen nichts davon abhalten, ihren Platz selbst zu definieren. Schluß mit dem trübseligen passiven Opferdenken, und herzlich willkommen in der aktiven historischen Forschung!

Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Linus Beger

Berliner Gesichter 04 Nov 2010 11:05 #1288865131

  • Bertha Lose
  • Bertha Loses Avatar Autor
Sehr verehrte Damen und Herren,
ich betrachte die Porträts der Berliner, die Sie auf der Homepage zeigen. Aber nie ist eine Frau dabei. In der Berliner Geschichte gibt es keine bedeutenden Frauen, nicht wahr? Bei Ihren Veranstaltungen merkt man das ja leider auch. Historiker sind immer Männer. Es gibt nur wenige Ausnahmen. Woran mag das liegen?
Mag jemand darauf antworten?