Zur Berliner Sittengeschichte im Dreißigjährigen Krieg [Teil 3]
[Teil 1] - [Teil 2]
Von M. Rehbock
Nicht günstiger ist die Schilderung von den Sitten der Bürger in den Städten der Mark und des Landvolks, welchen der Herr von dem Borne (ebenda, S. 19) Liederlichkeit, Völlerei, Üppigkeit, Gotteslästerung, leichtsinniges Fluchen und Schwören, Neigung zum Sternsehen und zu anderen abergläubischen Wahrsagereien und vor allem die Verachtung der Heiligkeit des Sonntags vorwirft.
"In den Städten überall hat man es für einen Gottesdienst gehalten und noch, wenn man an Sonn- und Festtagen sich stattlich ausgeputzet und der Gewohnheit nach zweimal, öfters ohne einige Andacht, in die Kirche gegangen ist. Nach geendigten Predigten hat man alsbald angefangen, alle Sünden, die man auf dem Werktage nicht hat thun mögen, mit freudigem Muthe zu üben; da hat es müssen gefressen, gesoffen, gespielet, spatziret, banquetieret seyn und tolles Zeug vorgenommen werden. Da hat man alle Gasthöfe, Schenken, Wein- und Bierkeller voller Gesellschaften gesehen, die sich toll und voll gesoffen und bis in die Nacht geschwärmet haben, ihnen mit Trommeln, Pfeifen und Geigen aufwarten lassen. Da hat man nach der Scheiben oder dem Vogel abschießen. Oefters sah man Komödianten, auch wohl in den Kirchen, Fechtmeister, Springer, Linienflieher, Tanzmeister, Bären, Affen und anderer ungewöhnlicher wilder Thiere Leiter und Führer auftreten und durch dieselben dem Volke an Schauspiel und Kurzweil machen lassen, welchem auch die Stadtobrigkeit und die Geistlichen selber mit sonderbarer Ergötzlichkeit beygewohnet ... Auf dem Lande, in Flecken und Dörfern ist es mit dem Gottesdienste noch schlimmer daher gegangen. - Nach gehaltener Predigt ist der Pfarrer zu dem Gerichtsherrn oder Schulzen des Dorfes eingeladen, die Bauern aber sämmtlich mit den Weibern und Kindern in den Krug oder Gasthof gegangen, sich daselbsten toll und voll gesoffen und die ganze Nacht durchgeschwärmet und nach Sackpfeifen herumgesprungen, dabey sich dann öfters der Beichtvater weidlich mit gebrauchen lassen."
Was in dieser Stelle den märkischen Städten überhaupt vorgeworfen wird, davon hat Berlin ohne Zweifel einen großen Teil zu übernehmen. Ganz besonders unwillig äußert sich der strenge Kanzler über die Üppigkeit des weiblichen Geschlechts in den höheren Ständen seiner Zeit. Nachdem er an die einst von den alten Propheten getadelte Üppigkeit der jüdischen Weiber erinnert hat, sagt er (ebendas. S. 40 bis 42):
"Unsere Weiber und Töchter thun denselben nicht allein nachfolgen, sondern in vielen Dingen vorgehen, sogar, daß auch viele nicht zufrieden sind mit der natürlichen Gestalt und Farbe, so ihnen Gott ihr Schöpfer gegeben hat, sondern damit sie weißer und schöner aussehen werden mögen, waschen sie sich mit gemischten und wohlriechenden Wassern, schminken und streichen sich an mit Farben, streuen Cyprischen Puder in's Haar und tragen hohe Sturmhauben auf dem Kopfe, nicht anders als wenn sie alles, was ihnen vorkommt, niederreißen wolltenm und was dergleichen Eitelkeiten mehr sind ...
Es sind auch unsere Weiber bei diesen verderbten Zeiten so weich und verzärtelt worden, daß sie zumal diejenigen, so vor andren etwas seyn wollen, damit sie ihren Wohllüsten nichts abbrechen, und sich mit keiner Mühe beladen, sondern nur die ganze Zeit ihrer Jugend zur Pracht und Schmückung ihres Leibes verwenden mögen, es für eine Schande und Unehre achten, ihre Kinder an ihren eignen Brüsten, die ihnen doch Gott und die Natur dazu gegeben, zu säugen und mit ihrer eignen Milch aufzuziehn und zu ernähren; sondern dazu oftmals leichtfertige und unzüchtige Bälge mit großen Kosten miethen und denenselben die lieben Kinder, welche sie mit großen Schmerzen geboren, zu stillen dahin geben und aller natürlichen Liebe und Pflicht vergessen ...
Eine Schande ist es an unsern christlichen Weibern, daß sie in solcher Eitelkeit auch sogar ersoffen sind, daß es ihnen auch die Heiden darin zuvorthun, und theils ihren Beruf und Schuldigkeit in Bestellung und Versehung der häuslichen Nahrung, dazu sie doch als Gehülfen von Gott ihren Männern zugeordnet sind, gar zurücke setzen und sich glücklich achten, wenn sie in Müssiggang, Wohllust und Ueppigkeit ihr Leben zubringen können; darüber sie denn auch ihren Ehemännern ein solches Herzeleid anlegen, daß sie zu Erfüllung der Weibesbegierde und Lüste, wenn sie Freude haben wollen, alles dasjenige, was sie mit ihrem sauren Schweiß erworben, zu ihrer Pracht und Hoffart anwenden müssen und sich und ihre Kinder dadurch in die äußerste Armut stürzen."
Die Ursache dieser Entartung des weiblichen Geschlechts sucht der Verfasser in der übertriebenen Galanterie, deren sich die Männer in der Mark, nach dem aus Frankreich überhaupt in Deutschland geholten Vorbilde, zu befleißigen anfingen, wodurch das Verhältnis zwischen Mann und Weib, wie es in der alten guten Zeit war, gänzlich umgeändert und die Frauen zu übertriebenen Anmaßungen und Torheiten verleitet wurden.
"Aber", sagt er mit vielem Nachdrucke, "es geschieht den Männern nicht Unrecht, weil sie sich des Regiments, Gewalt und Herrschaft, so ihnen Gott der Allmächtige über die Weiber verliehen, gantz begeben und sich Wohllust und Weichlichkeit denen Weibes-Bildern zu leibeigenen Knechten und Sklaven ergeben, so gar, daß sie auch ohne derselbigen Rath und Bewilligung nichts thun oder vornehmen dürffen." -
Aus: "Mitteilungen" 38, 1921, S. 25-26
Redaktion: Gerhild H. M. Komander 12/2003