Zur Berliner Sittengeschichte im Dreißigjährigen Krieg [Teil 2]
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Von M. Rehbock

Auch war der Kurfürst [Georg Wilhelm] besonders darüber sehr unwillig, daß die Schulknaben bei dieser Gelegenheit mit allerlei Geschmeide geschmückt sich öffentlich gezeigt hatten. "Ihr wisset," schrieb er deshalb an den Rat, "wie vor kurzer Zeit, als eine Hochzeit bei euch gehalten werden sollte, ernstlich in Unserm Namen untersagt worden mit den güldenen Ketten oder auch anderem Geschmeide, welches Jeder hätte, zu dem Mahle nicht zu prangen, sondern es vielmehr in den Winkel, darin es läge, verbleiben zu lassen. Sintemalen der Soldat und sein Befehlshaber auch wohl hier hinnen und mitten in der Stadt von den güldenen Ketten und anderem, so an Gold und Silber hier vorhanden mir zu gern viel zu reden wissen, also daß nicht wenig zu befahren, daß sie um dessen willen, wenn sich nur die geringste Ursache dazu sehen ließe, wohl etwas in beiden Städten rottiren durften. Daß auch denselben Warnungen damalen Gehör gegeben, daran ist zu eurem selbst besten geschehen. Aber damit durch die wenigen güldenen Ketten, so vorhanden, und zwar ganz zur Unzeit gesehen würden, haben sich die eurigen Scolaren, durch das eurige Verlauben, Komödie zu spielen, damit behangen und auf den Gassen spiegeln müssen, den Soldaten einen Appetiet zu machen." -

Bei dieser Denkweise des trefflichen Kurfürsten waren die Bewohner Berlins in Hinsicht ihrer Unterhaltung auf das beschränkt, was jeder selbst sich schaffen konnte; der Vornehme und Reiche auf Gelage im Innern der Häuser, der gewöhnliche Bürger und Handwerker auf die städtischen Bierschenken.

Denn selbst der Besuch auf den umliegenden Dörfern, in ihren Schenken, ja, sogar das Lustwandeln außerhalb der Stadt war wegen der umherstreifenden Soldaten oder Gardebrüder und Räuber selten ratsam. Von Hoffesten zur Erheiterung der Residenzstädte konnte in jener betrübten Zeit nicht die Rede sein, da dem Kurfürsten Georg Wilhelm niemals ein langer und ruhiger Aufenthalt im Schlosse zu Kölln [Cölln] vergönnt, außerdem auch der Ertrag der kurfürstlichen Ämter durch Mangel an Anbau und die wiederholten Erpressungen der Soldaten so sehr geschmälert war, daß nicht für die dringendsten Bedürfnisse der Hofhaltung, viel weniger für Festlichkeiten die Mittel geschafft werden konnten. Denn der Kurfürst war (wie Lockel berichtet) sogar genötigt, im Jahre 1634 wegen der damaligen großen Teuerung von den Landständen Tafelgelder anzunehmen.

Je weniger aber die Zeit öffentliche Gelegenheit zur Zerstreuung und Unterhaltung darbot, um so mehr nahm bei den Gelagen und Belustigungen der einzelnen, ungeachtet alles Ungemach und aller Landplagen, zwar nicht Heiterkeit und Fröhlichkeit, aber ein maßlose Völlerei und zugleich die größte Vernachlässigung alles Anstandes überhand.

Auch die rohe Sitte des Zutrinkens, welche schon in früherer Zeit von allen verständigen Männern so vielfach als unchristlich und ruchlos verdammt wurde, war damals noch nicht abgestellt; sie wurde nicht nur bei fröhlichen, sondern selbst bei traurigen Gelegenheiten geübt und gab nicht selten zu schlimmen Auftritten und blutigen Raufereien Anlaß.

Als im Jahre 1644 der Rittmeister Kühne von Bardeleben nach der damals besonders unter dem ländlichen Adel eingerissenen Üppigkeit der Leichenbegängnisse, seine verstorbene Ehefrau mit einer stattlichen Prozession und Veranstaltung zu Treuenbrietzen begraben ließ, geriet ein junger Edelmann, Kurt Flans von Wilbriezen, mit einem andern Edelmann, Adam Abraham von Oppen, wegen eines Glases Bier, welches dieser nicht austrinken konnte, in so heftigen Streit, daß er ihn zum Duell zwang. In diesem Zweikampf rannte er mit solcher Wucht in den Degen seines Gegners und verwundete sich so gefährlich, daß er bald darauf, ehe man ihn verbinden konnte, den Geist aufgab. -
"Das sind", bemerkt Lockel, nachdem er diesen Vorfall berichtet "die Früchte der Trunkenheit, des Gläserstreits und der großen Gesundheiten!"

Besonders sollen die Hofleute zu Berlin in jener sonst betrübten Zeit, nach mehreren unverwerflichen Zeugnissen, ungeachtet der strengen Ernsthaftigkeit des Kurfürsten, Unmäßigkeit und Verschwendung sich überlassen haben. Daß der hochstehende Graf Schwarzenberg davon eine Ausnahme gemacht habe, läßt sich mit Gewißheit annehmen, weil man es nicht unterlassen haben würde, diesen Vorwurf, wenn er dazu Veranlassung gegeben hätte, besonders hervorzuheben; denn schon der Bau einer Wohnung, wie sie seinem stande angemessen war, in der Brüderstraße wurde ihm (wie Nicolai in seiner Beschreibung von Berlin I. S. 119 ausführt) als Beweis der Neigung zu unbesonnener Verschwendung und unbarmherziger Gefühllosigkeit bei dem Elende des Landes zum Vergehen gemacht.

Mit desto weniger Scheu überließen sich Kurt von Burgsdorf (oder Borgsdorff), Brandenburgischer Oberst und nachmaliger Oberkammerherr, der Nebenbuhler des Grafen von Schwarzenberg in der Gunst des Kurfürsten, und sein Bruder, der Oberstallmeister, jeder Art von Unmäßigkeit und Ausschweifung, und Georg Wilhelm sah ihnen um so leichter nach, da er ihrer Hauptneigung, dem Trunke, nach damaliger, fast allgemeiner fürstlicher Sitte selbst nicht ganz abhold war.

In einem im Jahre 1649, freilich nicht ohne Leidenschaftlichkeit, angeblich aus Kölln [Cölln] an der Spree an einen Freund in Arnheim geschriebenen Briefe, welcher handschriftlich in der Berliner Bibliothek aufbewahrt wird (Msc. Bor. In Quarto Nr. 79), finden sich über die maßlose Verschwendung der beiden Burgsdorffe merkwürdige Nachrichten.

Der Oberkammerherr hielt nach dem Zeugnisse dieses Briefstellers einen mehr als fürstlichen Staat, hatte eigene Pagen, Lakaien, Hofjunker, Hofmeister, Räte, Sekretarien, trompeter, und neben dergleichen Dienern besaß er noch mehrere Ställe, angefüllt mit stattlichen Pferden, und eine Menge von Karossen und Wagen.

Die Garderobe bestand aus vierhundert Kleidern von allerhand köstlichen Zeugen; man sah ihn bei Hofe an einem Tage nicht selten in drei verschiedenen Kleidungen, und auch nach dem Regierungsantritte des Großen Kurfürsten [Friedrich Wilhelm] bemerkte man bei der Taufe des am 11. Mai 1648 zu Cleve geborenen Kurprinzen, daß der übermütige Oberkammerherr in dritteinhalb Tagen in elf verschiedenen kostbaren Kleidern prunkte.

Überhaupt stellte er nach dem Tode Georg Wilhelms seine Verschwendungen keineswegs ein. "Er hält", sagt jener Briefsteller, "so köstliche Tafel, daß man sagen sollte, daß er der Kurfürst und dieser der Oberkammerherr wäre. Wenn auf des Kurfürsten Tafel kein Wildpret ist, so beuget sich seine Tafel davon. Wie in des Kurfürsten Keller kein einziger Trunk Wein ist, so lieget in seinem Keller Faß bey Faß, Pfeife bey Pfeife. Wenn der Kurfürstin nicht wohl ist und sie ihre Kammer hält, und daß dar nicht eine delikate Schüssel Essens in des Kurfürsten Küche zu finden ist, so muß man in seine Küche darum bisweilen gehen, da man sie bey Tausenden findet." - "Er ist auch", heißt es an einer anderen Stelle des Briefes, "ein Mann, der sein ganzes Leben mit allerhand Sorten von Debauchen, so vollaufen, spielen, nachtlaufen, pfeifenstellen, tanzen und dergleichen zugebracht hat; auch schämt er sich hierüber nicht einmal, sondern berühmt sich dessen und thut´s täglich. Er ist darinnen auch so unverschämt, daß er an des Kurfürsten Tafel unter anderem sich berühmt hat, daß er auf einem Abende 80 000 Thaler verspielt, schwörend bei seinem Theile im Buches des Lebens, (welches sein höchster Eid ist) daß er dieselben auch ehrlich bezahlt hat. Item, daß er zehn bis fünfzehn Kannen Weins aussaufen kann. Item, daß er bereits zehn Kerls zu Tode gesoffen, und davon noch unlängst einen Edelmann an des Kurfürsten zu Sachsen Hofe; item, daß er solche Stücklein betrieben habe, die er nicht zu bekennen gedächte, ob er gleich gefoltert würde; und hundert dergleichen Stücke mehr, so daß man ganze Bücher von seinen Bubenstücken an der kurfürstlichen Tafel sollte beschreiben, wenn man wollte, denn alle seine Diskurse sind nicht anders, als von solchen und dergleichen." -
Was dann ferner aber der Briefsteller von den Gelagen, welche beide Burgsdorffe zu feiern pflegten, und den Ausschweifungen, welche dabei vorfielen, berichtet, verbietet der Anstand hier mitzuteilen.

Daß Kurt von Burgsdorff nicht der einzige war, welcher es in Berlin so trieb, sondern, daß sein Beispiel Nachahmer fand, beweist die Schilderung der Sitten des Hofadels, welche der kurfürstliche Rat und Kanzler bei der Neumärkischen Regierung, Hans Georg von dem Borne, dem Kurfürsten Friedrich Wilhelm unmittelbar nach seinem Regierungsantritte vorlegte[1].

"Den Anfang am Hofe zu machen," sagt der fromme Kanzler, "so müssen wir bekennen, daß durch die Gande Gottes unser Hof mit fürtrefflichen Gelehrten und christeifrigen Predigern und Seelenhirten versehen ist, welche an ihnen Nichts ermangeln lassen mit heilsamer Lehre, scharfen Gesetzpredigten und rechtem christlichen Wandel und Gott gefälligem Leben, die wahre Gottesfurcht in den Herzen ihrer Zuhörer fortzupflanzen und zu treiben; aber mit was Frucht und Nutzen, das bezeuget die Erfahrung genugsam, sintemal der meiste Haufe von den Hofleuten fortfährt in einem wüsten, wilden und heidnischen Wohlleben in Fressen und Saufen, Spielen und andrer Ueppigkeit, und werden die meisten Sonn- und Festtage bei Hofe mit Schmausen, Turniren, Ringelrennen, Verkleidungen, Tänzen und andren weltlichen Wohllüsten zugebracht, und der wahren Gottseligkeit wird dabey gantz vergessen." -

Sehr bitter klagt der Herr von dem Borne (ebendaselbst S. 39) über die unmäßige Kleiderpracht und der närrischen Mode der Hofleute, "wozu die Landfahrer, welche mit großen Kosten in Frankreich, Italien, Hispanien, Engalnd und andre fremde Lande verschickt worden, nicht wenig Vorschub und Beförderung gethan, welche zum mehreren Theile keinen anderen besonderen Nutzen ihrer kostbaren reisen mit sich zurück in ihr Vaterland gebracht, als eine fremde, ungewöhnliche und närrische Art von Kleidung und daneben ein angenommenes leichtsinniges Wesen von Sitten und Gebehrden mit Verachtung der alten deutschen Zucht und Ehrbarkeit". -

1 Man sehe "Hansen Georgens von dem Borne politische und geistliche Berathschlagungen über den gegenwärtigen betrübten und bekümmerten Zustand der Chur- und Mark Brandenburg". Berlin 1719. IV.19.

Aus: "Mitteilungen" 38, 1921, S. 22-23
Fortsetzung: Dreißigjähriger Krieg, Teil 3

Redaktion: Gerhild H. M. Komander 12/2003